Ein erfolgreicher Schlag gegen den "radikalisierten Islamismus und Salafismus", wie ihn der damalige Innenminister Wolfgang Sobotka im Jänner des Vorjahres verkündet hatte, sieht anders aus. Alle bis auf einen von damals bei einer Großrazzia 14 festgenommenen Tatverdächtigen sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Nicht nur Handlanger von Handlangern wurden (schon früher) enthaftet, sondern jetzt auch Verdächtige, denen sehr wohl die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Letztere wurden trotz dringenden Tatverdachts aus der U-Haft entlassen, weil die Strafverfolgungsbehörden sich zu lange Zeit gelassen haben sollen, konkrete Vorwürfe zu untermauern. So sieht es jedenfalls das Oberlandesgericht Graz, das die Freilassungen anordnete.

Was ist da passiert? Die Vorgehensweise ist juristisch wasserdicht. Der Senat des Oberlandesgerichts hat seine Rolle als Hüter der Menschenrechte erfüllt, also auch der Unschuldsvermutung, die im Übrigen für alle Beschuldigte gilt. U-Haft als schwerste Zwangsmaßnahme darf nicht leichtfertig verhängt werden und auch nicht ewig dauern. Theoretisch sind in Österreich ohnehin bis zu zwei Jahre hinter Gittern möglich, ohne dass es zu einem Hauptverfahren kommt.

Gerade bei so schweren Vorwürfen wie Terrorismus erwartet man, dass Polizei und Staatsanwaltschaft alles daran setzen, um Täter in angemessener Zeit zu überführen. Wenn 14 Terabyte an Datenmaterial sichergestellt werden, muss das Auswertungsteam des Verfassungsschutzes spontan aufgestockt werden und die zuständige Staatsanwaltschaft Verstärkung erhalten. Möglicherweise muss neben der Anklagebehörde in Graz eine weitere mit Schwerpunkt Terrorismus geschaffen werden. In der steirischen Landeshauptstadt konzentrieren sich derzeit einige Großverfahren, die viele Ressourcen binden.

Der in den vergangenen Jahren immer lauter gewordene Ruf von Richtern und Staatsanwälten gegen Einsparungen beim Justizpersonal erhält durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz neue Aktualität. Zwischen den Zeilen des Enthaftungsbeschlusses sind eklatante Mängel bei der Aufarbeitung einer großen Causa herauszulesen. Es nützt nichts, nur die Polizei aufzustocken, wenn gleichzeitig bei der Justiz Posten und Teile der Ausbildung gestrichen werden. Der Kampf gegen den Terrorismus braucht ein gut aufgestelltes Gegengewicht. (Michael Simoner, 6.7.2018)