Bild nicht mehr verfügbar.

Europäer müssen sich nicht fürchten. Der chinesische Drache ist gar nicht echt. Und selbst wenn, würde er derzeit wohl viel lieber Amerikaner verspeisen.

Foto: Reuters/Whitaker

Der Gründungsmythos von Europa handelt von einer Verführung. Zum Stier verwandelt hat Zeus die schöne phönizische Prinzessin, der der Alte Kontinent seinen Namen verdankt, geraubt und mit ihr auf Kreta Kinder gezeugt. Nicht von einem Gott in Gestalt eines Bullen, sondern von einem kommunistischen Land im Gewand eines liberalen Rechtsstaats wird Europa heute wieder hofiert. Aber Europa ziert sich.

"China hat sich zuletzt öffentlich als Verfechter des Freihandels präsentiert und damit als Partner der EU beworben", erklärt Max Zenglein, Bereichsleiter Wirtschaft am Berliner Mercator Institut für Chinastudien (Merics), die chinesische Charmeoffensive gegenüber den Europäern. Hintergrund des chinesischen Werbens ist der Handelsstreit, in dem sich US-Präsident Donald Trump sowohl China als auch die EU zum Feind gemacht hat. Weil Trump den Europäern mit weiteren Zöllen (u. a. auf Autos) droht, wittert Peking die Chance, Europa näher an sich zu binden. Das Reich der Mitte will eine gemeinsame Linie mit Europa gegen den Protektionismus des US-Präsidenten fahren. Als Gegenleistung bietet China weitere Marktöffnungen für europäische Unternehmen an.

Werbetour durch Europa

Nächste Etappe der chinesischen Werbetour ist Berlin, wo Premierminister Li Keqiang am heutigen Montag mit der deutschen Bundesregierung zusammentrifft. Er hoffe, "dass Deutschland seine Bedenken zurückstellt und für chinesische Unternehmen, die in Deutschland oder Europa investieren und Firmen gründen wollen, ein gerechtes, offenes Umfeld sowie einen stabilen institutionellen Rahmen schafft", schrieb der chinesische Premier vor dem Spitzentreffen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Nur durch "gegenseitige und gerechte Öffnung" könnten beide Seiten von der Zusammenarbeit profitieren. Jedenfalls müssten deutsche Firmen bei Kooperationen mit chinesischen Partnern keine Angst haben, schrieb Li.

Auch am Wochenende, als Li in Sofia mit Vertretern aus Mittel- und Osteuropa zu einem großen Unternehmerforum zusammenkam, gab sich dieser betont als Freund der Europäer. China wolle eine offene und prosperierende EU sehen, beteuerte der chinesische Premier: Dies sei auch in Chinas Interesse.

Milliardeninvestitionen in Osteuropa

In der Vergangenheit wurde Peking in Europa nicht als Promotor der Einheit, sonder eher als Störenfried wahrgenommen. In Ländern wie Griechenland, Ungarn aber auch Serbien hat Peking bereits Milliarden investiert. Bei EU-Mitglied Bulgarien ist China am Neustart des Atomkraftwerkprojekts Belene an der Donau sowie am Bau von Autobahnen und Eisenbahnstrecken interessiert.

EU-Vertreter fürchten, dass China auf diese Weise politischen Einfluss in der Region gewinnen will. China sei bereit, in der Region unter Einhaltung der Gesetze, der Regeln des freien Handels und der Europäischen Union zu investieren, warb Li.

"Die EU und China haben weniger Gemeinsames im Sinn, als man vermuten würde. Ich bin skeptisch, dass China Angebote für eine weitere wirtschaftliche Öffnung ernst meint", gibt Merics-Experte Zenglein zu bedenken. Bei bisherigen Öffnungen sei man sehr strategisch vorgegangen. Sektoren, in denen chinesische Unternehmen noch nicht gut aufgestellt sind, werden nach wie vor geschützt. Das dürfte auch diesmal der Fall sein.

China am Anfang einer Strukturreform

Denn China sucht auch deshalb die Nähe Europas, weil der Handelskonflikt mit den USA zu einem für die kommunistische Partei denkbar ungünstigen Zeitpunkt eskaliert ist. Peking steht gerade am Anfang einer Strukturreform, die die Kreditschwemme im Reich der Mitte eindämmen und so die Stabilität des Finanzsektors erhöhen soll.

Experten erwarten deshalb eine Verlangsamung des Wachstums, wenn in weniger als zwei Wochen die Zahlen des jüngsten Quartals veröffentlicht werden. Der Konflikt mit den USA könnte den Absatz chinesischer Produkte im Ausland weiter erschweren und somit zum zusätzlichen Wachstumshemmnis werden. Am Freitag waren US-Zölle auf chinesische Importe im Ausmaß von 34 Milliarden Doller in Kraft getreten. Am selben Tag reagierte Peking mit Schutzzöllen gegen US-Waren – darunter Autos und viele Lebensmittel – im selben Ausmaß. Eine Liste mit weiteren Gütern für mögliche Schutzzölle hat China bereits veröffentlicht. Als Nächstes zielt man auf Chemikalien, Baustoffe und Rohstoffe wie Asphalt, Benzol und Polyester.

EU und USA einig in Kritik

Dass es China gelingt, Europa näher an sich zu ziehen, bezweifeln Experten. Was Marktzugang und Schutz von geistigem Eigentum betrifft, teile man die amerikanische Kritik an China, sagte jüngst ein EU-Vertreter – uneinig sei man sich in der Frage, wie mit China zu verfahren ist.

Die Gretchenfrage im Umgang mit China ist der Schutz geistigen Eigentums. Daran, dass ausländisches Know-how in China nicht hinreichend geschützt wird, ändert auch eine Öffnung des chinesischen Markts nichts. Peking sei auf dem Weg, beim Schutz geistigen Eigentums Rückschritte zu machen, warnt Zenglein: "Ein neues Cybersicherheitsgesetz erlaubt Behörden Einsicht in Forschung und Entwicklung von Unternehmen, wenn diese China verlassen." Der Vorwand der Regierung: chinesisches Know-how schützen. Faktisch will die Partei jedoch ihren Einfluss auf die Wirtschaft ausbauen, glaubt Zenglein.

Der Internationale Währungsfonds forderte eine starke gemeinsame Position der Europäer im Handelsstreit. Man müsse geschlossen auftreten, dann könne man im Konflikt zwischen Peking und Washington eine Vermittlerrolle einnehmen, sagte IWF-Chefin Christine Lagarde: "Die Europäer zusammen sind eine Kraft, eine Macht. Wenn sie geschlos- sen sind, haben sie eine echte Stimme." (Aloysius Widmann, 9.7.2018)