Wien – Geht man vom Gürtel weg die Ottakringer Straße entlang, die sich bis tief in Wiens 16. Bezirk hineinzieht, reiht sich ein Café an das andere. An vielen Fassaden hängen Flaggen aller möglichen Nationen, aufgespannt an einem Seil, nebeneinander. Bei einigen Bars sticht die kroatische Flagge hervor, die an Glasfronten angebracht ist. Sie deutet darauf hin, dass im jeweiligen Lokal die Matches der Fußball-WM live übertragen werden.

Viele Ansässige sagen "Balkanmeile", wenn sie von der Ottakringer Straße sprechen. Gemeint ist damit, dass viele Bewohner dieser Gegend Ottakrings Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien haben, sei es, weil sie vor ein paar Jahrzehnten als Gastarbeiter nach Wien gekommen sind oder weil sie Eltern haben, die diesen Weg hinter sich haben.

Viele Fans feiern im Zuge von Fußballmatches immer wieder gerne auf der Ottakringer Straße. Letzten Samstag ist die Feier eskaliert.
Foto: Robert Newald

Bengalos und Böller

Man könnte sagen, dass einem in der Regel nicht fad wird, wenn man abends auf der Ottakringer Straße unterwegs ist. Besonders viel los war allerdings vergangenen Samstagabend, als Fans der kroatischen Nationalmannschaft den Sieg über Russland im WM-Viertelfinale feierten.

Bereits während des Matches wurden von den Fans einzelne pyrotechnische Gegenstände auf die Straße geworfen. Nach dem Schlusspfiff strömten dann nach Schätzungen der Polizei 500 Menschen direkt auf die Straße und zündeten Bengalos und Böller, die sie teilweise auch in die feiernde Menge warfen. Die Polizei war anfangs mit zu wenigen Beamten präsent, nach und nach wurden mehr zugezogen, zum Schluss waren an die hundert Beamte vor Ort. Der Verkehr kam zum Erliegen, die Straße wurde schließlich bis Mitternacht großräumig gesperrt.

Einen Tag später lautete die Bilanz der Polizei: 78 Anzeigen, davon sechs wegen schwerer Körperverletzung und drei wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Sachbeschädigungen waren der Polizei nur in geringem Ausmaß bekannt. Zwei Frauen wurden laut Auskunft der Berufsrettung schwer verletzt, einer der beiden droht der Verlust der Hörfähigkeit, die andere bangt um ihre Sehfähigkeit.

78 Anzeigen verzeichnete die Polizei am Samstagabend, elf davon waren Anzeigen nach dem Pyrotechnikgesetz.
Foto: Anna Kohl

Feiern mit Beigeschmack

Doch nicht nur der Einsatz von Pyrotechnik wird kritisiert. Die Journalistin Tanja Malle berichtet auf Twitter von Personen, die mit Sieg-Heil-Rufen auffielen. Auf Fotos ist ein Fan zu sehen, wie er die rechte Hand zum Hitlergruß zu heben scheint. Gesichtet wurden außerdem mehrere Fahnen des faschistischen Ustascha-Regimes, die in Kroatien verboten sind. In Österreich sind Sieg-Heil-Rufe zwar vom Verbotsgesetz erfasst, Zeichen des Ustascha-Regimes jedoch nicht. Die Polizei erklärte anfangs, dass derartige Vorkommnisse nicht aufgefallen seien. Am Dienstag hieß es gegenüber dem STANDARD, dass es eine Anzeige nach dem Verbotsgesetz gab.

Dass es bei Kroatiens Halbfinalspiel gegen England am Mittwochabend ähnliche Bilder gibt, will die Polizei möglichst vermeiden. Bereits bei der EM 2008 hat man ähnliche Erfahrungen gemacht. 350 Beamte schickt man deshalb jetzt ins Rennen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Darunter werden auch Beamte der Wega und der Diensthundeeinheit sein. Über Straßensperren werde man im Anlassfall entscheiden, sagt Polizeisprecher Harald Sörös. Die Beamten seien außerdem hinsichtlich faschistischer Symbole geschult worden. Da Symbole des Ustascha-Regimes jedoch nicht verboten sind, könne man nur einschreiten, wenn es deretwegen zu "tumultartigen Szenen" kommt.

Auf der Ottakringer Straße hält man am Mittwochabend gemeinsam zu Kroatien.
DER STANDARD

Spielausgang

In der Ottakringer Straße blickt man dem Mittwochabend relativ gelassen entgegen. Viele rechnen nicht damit, dass es "ganz arg zugehen" wird. Nachsatz: Es hänge natürlich auch davon ab, wie das Spiel ausgehe.

"Jahrelang hat man über diese Gegend hier schlecht berichtet", sagt Ramona Brunner. "So schlimm, wie alle tun, ist es aber nicht." Die Rumänin arbeitet in einer Bar, deren Besitzer Kroate ist. Auch sie werden das Halbfinale am Mittwoch übertragen. Es gebe zwar immer noch Engstirnige in den Communitys hier, sagt Brunner. Etwa Serben, die nicht mit Kroaten gemeinsame Sache machen wollen und umgekehrt. "Die meisten hier feiern aber gemeinsam."

Sie glaubt, dass viele, vor allem Jugendliche, gar nicht wissen, was sie herumtragen, wenn sie mit Ustascha-Flaggen unterwegs sind: "Die machen einfach mit."

Viele Lokale entlang der Ottakringerstraße übertragen die Spiele der Fußball-WM live. Die Cafés und Bars sind meist gut gefüllt.
Foto: Robert Newald

Zutrittsverbote

"Natürlich wissen die Bescheid", sagt ein Gast des Irish Pubs Green Bogey an der unteren Ottakringer Straße. 200 bis 300 Leute waren am Samstag direkt vor dem Lokal, schätzt der Mann. Die Außenwände des Lokals waren mit Stickern zugeklebt, auf vielen war "Endsieg" zu lesen. "Man sollte Symbole des Ustascha-Regimes auch in Österreich verbieten", sagt er. Dass die Politik in den Fußball hineinschwappe, sei immer schon so gewesen. Ob Fahnenträger von anderen darauf hingewiesen werden, dass man mit ihnen nicht einverstanden sei? "Mit solchen Idioten zu diskutieren bringt nichts."

In die Kritik geraten ist das mit dem Irish Pub zusammenhängende Gourmetgeschäft direkt nebenan. An der Außenfassade war prominent eine Ustascha-Fahne gehisst worden. Laut dem Pressesprecher des Lokals hat man die Fahne, die ein Lokalfremder aufgehängt habe, so rasch wie möglich entfernt. Außerdem hätten beim Halbfinalspiel am Mittwoch all jene Zutrittsverbot, die mit entsprechenden Symbolen unterwegs sind. Das habe man auch schon via Facebook kommuniziert. (Vanessa Gaigg, 11.7.2018)