Die Betreuung sei schon "sehr gut ausgebaut", sagt Familienministerin Juliane Bogner-Strauß.

Foto: APA/Neubauer

Wien – Es ist der klassische Streit, ob ein Glas halb voll oder halb leer ist. Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) habe sich "die Füße wundgerannt", um für den stärkeren Ausbau der Kinderbetreuung zu werben, heißt es aus der ÖVP – und dem Finanzminister doch noch einen Patzen Geld abgerungen. "Anstatt dass sich die Frauen- und Familienministerin für mehr Mittel einsetzt, erklärt sie nur, warum sie die Kürzung gut findet", urteilt hingegen Ex-Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek von der SPÖ: "Längere Arbeitszeiten, aber weniger Geld für die Kinderbetreuung – das ist 'Frauen zurück an den Herd'-Politik".

Anlass für den Schlagabtausch: Die türkis-blaue Regierung will den zuständigen Ländern und Gemeinden künftig 110 Millionen Euro pro Jahr für Kinderbetreuungseinrichtungen zuzahlen – das ist mehr als die ursprünglich im Budget fixierten 90 Millionen, aber weniger als bisher. Zuletzt machte der Bund insgesamt rund 140 Millionen pro Jahr locker, wovon 70 Millionen für die Finanzierung des Gratiskindergartenjahrs flossen, 20 Millionen für die sprachliche Frühförderung und 52,2 Millionen für den Ausbau von Krippen und Kindergärten.

Laut dem Entwurf für eine entsprechende Bund-Länder-Vereinbarung bis 2022, der dem STANDARD vorliegt, müssen künftig "mindestens" 33 Prozent für den Ausbau ausgegeben werden – das sind 36,6 Millionen. 22 Prozent (24 Millionen) sind die Untergrenze für die sprachliche Frühförderung, die restlichen 45 Prozent beziehungsweise 50 Millionen dienen für das verpflichtende Gratiskindergartenjahr. Sollte da noch Geld übrig bleiben, wird im Ministerium erläutert, könnten die Gemeinden dieses für die ersten beiden Zwecke nutzen.

Ein Drittel weniger für den Ausbau

Obwohl der Ausbau von Krippen und Kindergärten damit um 30 Prozent weniger gefördert wird, will Bogner-Strauß, dass mehr Plätze für unter Dreijährige geschaffen und die Öffnungszeiten für alle Altersgruppen erweitert werden. Kürzungen seien deshalb verkraftbar, argumentiert sie, weil es für Drei- bis Fünfjährige kaum noch Bedarf an zusätzlichen Plätzen gebe.

Auf keinen Einspruch stößt diese Rechnung nur bei jenen Landespolitikern, die zur ÖVP gehören. Die zuständigen Landesrätinnen aus Nieder- und Oberösterreich begrüßen, dass das Angebot nachgebessert wurde, und sprechen von einer guten Verhandlungsbasis, die Tiroler zeigen sich "prinzipiell zufrieden".

"Haarsträubend" und "unmenschlich"

Scharfe Kritik üben hingegen andersfärbige Politiker. Angesichts des Zwölfstundentags dürfe die Regierung die Kosten für die umso nötigere Kinderbetreuung "nicht einfach den Gemeinden und Ländern umhängen", sagt Ursula Lackner, rote Bildungslandesrätin in der ÖVP-geführten steirischen Regierung. Ähnlich Andrea Klambauer, Neos-Landesrätin in der ebenfalls schwarz dominierten Salzburger Regierung – sie spricht von haarsträubenden Kürzungen. Erst recht groß ist die Empörung dort, wo die Sozialdemokraten den Landeschef stellen: Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser sieht einen "fatalen Fehler", Wiens Stadtrat Jürgen Czernohorsky ignorante Politik. Die burgenländische Landesrätin Verena Dunst nennt die geplanten Einsparungen gar "unmenschlich".

Protest kommt auch vom Städtebund, der die Kommunen über mit über 10.000 Einwohnern vertritt. Schon jetzt sperrten Einrichtungen in vielen Regionen zu früh für berufstätige Eltern zu, so die Kritik. Um ein Viertel weniger Fördergeld bedeute, dass das Angebot weiter eingeschränkt werden müsse: Zahlt die Regierung für das verpflichtende Gratiskindergartenjahr nur mehr 50 statt 70 Millionen, müssten die Gemeinden das Geld schließlich an anderer Stelle abzwacken.

Kopftuchverbot gegen "frühzeitige Sexualisierung"

Am Freitag steht eine erste Verhandlungsrunde der Beamten von Bund und Ländern an. Der zweite Aufreger dabei: Die Regierung will in die Vereinbarung auch das für die Kindergärten geplante Kopftuchverbot packen. Laut Entwurf ist Kindern das "Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung zu verbieten, die mit der Verhüllung des Hauptes eine frühzeitige Sexualisierung der Kinder und damit eine geschlechtliche Segregation bezwecken" und mit Grundwerten und der Verfassung, "insbesondere der Gleichstellung von Mann und Frau", unvereinbar sind.

Das sei klipp und klar als Bedingung zu verstehen, so die Erläuterung im Ministerium: ohne Kopftuchverbot kein Bund-Länder-Pakt, ohne Pakt keine Förderungen für die Kinderbetreuung. Wieder verlaufen die Fronten entlang der Parteigrenzen. Schwarze Landespolitiker haben damit, soweit deklariert, kein Problem, rote sehen eine als Ablenkungsmanöver gedachte Show. Für Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger ist die Verknüpfung schlicht und einfach eines: "eiskalte Erpressung". (Gerald John, 11.7.2018)