St. Petersburg – Thibaut Courtois war aufgebracht, wie man das nach einer Halbfinalniederlage bei einer Weltmeisterschaft nun einmal ist. "Sie spielen nur Antifußball", schimpfte Belgiens Goalie in Richtung der siegreichen Franzosen. "Da wäre ich lieber gegen Brasilien rausgeflogen. Die wollten wenigstens kicken."

Bild nicht mehr verfügbar.

Belgiens Fans und die Fassungslosigkeit. Ein Corner und ein Kopfball hatten im Semifinale den Ausschlag für Frankreich gegeben.
Foto: REUTERS/Yves Herman

Belgien hatte das getan: Mit einem 3:0 gegen Panama, mit einem 5:2 gegen Tunesien, mit einem 1:0 im Duell der B-Mannschaften gegen England, dann in zwei der besten Spiele des Turniers, dem 3:2 gegen Japan und dem 2:1 gegen Brasilien. Das 0:1 gegen Frankreich? Kein Feuerwerk, was in erster Linie den souverän verteidigenden Franzosen geschuldet war.

"Es ist eine Schande für den Fußball, dass Frankreich dieses Spiel gewonnen hat", sagte Courtois. Dass Frankreich "mit elf Spielern vor dem eigenen Tor" verteidigt habe, fällt zwar größtenteils unter die Kategorie verzerrte Wahrnehmung. Sein "Es ist einfach frustrierend" war aber nachvollziehbar. Frankreich habe nichts für das Spiel gemacht, monierte Courtois, aber: "Es ist ihr Recht, so zu spielen."

Belgiens Einsergoalie Thibaut Courtois hat Mühe, die Halbfinalniederlage gegen Frankreich zu verdauen.
Foto: APA/AFP/ODD ANDERSEN

Belgiens Trainer Roberto Martinez hatte mit mutigen Kniffen schon Brasilien geknackt und nun Frankreich ins Schwitzen gebracht. Es ist noch aus Zeiten als Everton- und Wigan-Coach ein Dauerschmäh, dass Defensive auf Martinez' Prioritätenliste eher in den Fußnoten zu finden ist. Wer nicht bei drei auf dem Baum ist, wird zum Außenverteidiger umfunktioniert. Zweikampffähigkeit ist sekundär.

Das erfolgreichste Meme zu Martinez' "kreativer" Positionsinterpretation.

Gegen Les Bleus stand Belgiens Verteidigung stabiler als noch gegen Brasilien oder Japan. Aber auch wenn Teamchef Didier Deschamps auf Halligalli-Fußball verzichtete – seine Équipe Tricolore hatte die besseren Chancen, die Franzosen hätten gut und gerne zwei Tore schießen können. Vor allem aufgrund von Olivier Girouds Abschlussschwäche mussten ein Eckball und Samuel Umtitis Köpfchen herhalten.

Standard-Tor

"Es war ein enges Spiel mit wenigen Torszenen. Es schmerzt natürlich mehr, wenn der Unterschied ein Standard ist", sagte Martinez. Früher waren ruhende Bälle eine Schwäche seiner Teams, für Belgien war es aber erst das zweite Gegentor nach einem ruhenden Ball, dem gegenüber kassierte Courtois vier Treffer aus dem Spiel. Die Quote liegt damit vernachlässigbar über dem WM-Schnitt.

Es war schlicht ein verlorenes Kopfballduell im falschen Moment, das Belgiens Titelträume erstickte. "Wenn wir zuerst treffen, gewinnen wir das Spiel", klagte Eden Hazard, auch im Halbfinale einer der stärksten Belgier. "Ich würde lieber mit diesem belgischen Team verlieren als mit diesem französischen gewinnen."

Eden Hazard ist verärgert über die Spielweise der Franzosen.
Foto: APA/AFP/GABRIEL BOUYS

"Es ist schwer, mit dieser Emotion umzugehen. Du bist enttäuscht, weil du im Halbfinale ausgeschieden bist", sagte Martinez auch im Hinblick auf das Spiel um Platz drei. "Es ist nicht einfach, dem Spiel um Platz drei in diesem Moment etwas Positives abzugewinnen, aber man hat nicht oft die Möglichkeit, WM-Dritter zu werden."

Es wäre der größte Erfolg der belgischen Fußballgeschichte, bisher ist die beste Platzierung Rang vier bei der WM 1986 in Mexiko. Damals verloren die Roten Teufel das Spiel um Bronze 2:4 nach Verlängerung gegen Frankreich. "Wenn wir das Turnier mit einem Sieg abschließen, können wir mit einem guten Gefühl in den Urlaub fahren", sagte Manchester-City-Profi Kevin de Bruyne.

Interview mit Belgien-Fan Lennart de Meulenaere nach Niederlage gegen Frankreich. Lennart organisiert Fan-Treffs auf der Summer Stage in Wien.
DER STANDARD

Wichtig ist jetzt die EM 2020. "Ich weiß nicht, welche Spieler aufhören und was in zwei Jahren ist", sagte de Bruyne, "aber wenn diese Mannschaft zusammenbleibt, können wir noch einiges erreichen." Auch der Spanier Martinez möchte sich selbstverständlich auf das Spiel um Bronze konzentrieren, er sagt aber, er habe "die Europameisterschaft schon im Hinterkopf".

Darüber hinaus wird eine Wachablöse beginnen, die älteren Semester der vielgepriesenen "Goldenen Generation" werden bei der WM 2022 wohl nicht mehr dabei sein. Vincent Kompany wäre dann 35, Thomas Vermaelen 36, Fellaini 34. Martinez macht das keine Sorgen. "Es rücken viele Talente im belgischen Fußball nach." (schau, APA, sid, 11.7.2018)