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Für Nikola Jurčević spielt der Teamgeist die entscheidende Rolle.

Foto: REUTERS/Ponikvar

Damals.

Football History

STANDARD: Kroatien steht im WM-Finale. Kommen Sie sich wie in einem falschen Film vor?

Jurčević: Ja, das ist ein unglaublicher Erfolg. Das ganze Land ist praktisch im Ausnahmezustand, unser ganzes Volk, die normalen Leute vom Arbeiter über den Sportler, den Akademiker bis hin zum Politiker sind rot-weiß gekleidet. Wir haben schon gewusst, dass wir eine sehr gute Mannschaft haben. Die Spieler sind bei großen Vereinen engagiert. Trotzdem, wenn du siehst, welche Konkurrenz du mit Brasilien, Argentinien, Frankreich oder Spanien hast, und das vergleichst mit unserem Land mit vier Millionen Einwohnern, ist es ein Wunder. Dabei sind wir doch so klein. Sensationen dieser Art passieren selten.

STANDARD: Was bedeutet das für das Land?

Jurčević: Es ist sehr wichtig, nicht nur aus sportlicher Sicht. Es ist ein Signal, ein Zeugnis, dass wir auch große Dinge leisten können. Wir haben mit diesem Erfolg Werbung für unser Land gemacht. Wir sind alle sehr, sehr stolz. Ich habe das Spiel gegen England in einer Café-Bar geschaut und war danach im Stadtzentrum von Zagreb. So etwas kann man nicht beschreiben, ein Straßenfest wie der Karneval in Rio – nur noch ausgelassener.

STANDARD: Haben Sie Erklärungen für den Erfolg? Eine außergewöhnliche Spielergeneration hatte Kroatien ja auch vor 20 Jahren.

Jurčević: Ich habe schon früh gesehen, dass wir eine sehr gute Mannschaft haben. Diese Spieler haben viel Erfahrung, haben mit ihren Vereinen Titel gewonnen: Modrić mit Real, Rakitić mit Barcelona, Mandžukić mit Juve. Ich glaube, eine unserer größten Waffen ist der unbedingte Wille, gepaart mit fußballerischer Qualität und der Bereitschaft zu kämpfen – für das Land, für die Menschen. Wir sind klein, haben im Fußball und im Sport im Vergleich zu anderen eine extrem schlechte Infrastruktur. Auch Österreich steht diesbezüglich weit über Kroatien. Im Fußball sind wir untere Liga, unsere Vereine kosten weniger als ein Zweitligaklub in England.

STANDARD: Die Ausnahmekönner sind gar nicht auf dem Egotrip. Ist der Teamgeist der Schlüssel?

Jurčević: Alle sind große Spieler, aber wenn sie für die Nationalmannschaft antreten, ordnen sie sich unter. Keiner spielt den Star, sie sind eine Einheit. Ich verfolge ganz genau, was vor der Weltmeisterschaft im Trainingscamp und auch jetzt passiert. Das ist ein unglaublich positives Klima, eine Geschlossenheit. Alle wollen etwas für ihr Land erreichen. Der Patriotismus macht zehn oder zwanzig Prozent aus.

STANDARD: Was zeichnet den Teamchef Zlatko Dalić aus? Er war ja kein Startrainer, hat in Saudi-Arabien gearbeitet.

Jurčević: Ich kenne ihn seit mehr als 20 Jahren persönlich. Er ist ein sehr ruhiger Typ, sehr korrekt, hat ein gutes Verhältnis zu den Spielern und allen Leuten aus dem Umfeld. Er hat eine hohe soziale Intelligenz, ist nicht arrogant, er bleibt immer auf dem Boden. Das hat er auf das Team übertragen.

STANDARD: Er hat nach dem Sieg gegen England gesagt, seine Mannschaft sei nicht normal. Würden Sie dem zustimmen?

Jurčević: Ja. Wie wir es geschafft haben, ist nicht normal. Wir haben dreimal 120 Minuten gespielt, zweimal nach dem Elfmeterschießen gewonnen. In den drei entscheidenden Spielen waren wir immer 0:1 hinten. Da weißt du, dass du etwas Ungewöhnliches und Spezielles brauchst. Deshalb hat er das metaphorisch gesagt, ich verstehe, was er meint. Es ist abnormal.

STANDARD: Ist die Gefahr des Verschleißes nicht groß? Frankreich ist ungefährdet ins Finale gekommen, hat einen Tag mehr Pause. Keine tollen Vorzeichen, oder?

Jurčević: In diesem Bereich hat Frankreich einen Vorteil. Sie haben alles viel lockerer gemacht, haben kontrollierten Fußball gespielt, defensiver, als ich erwartet habe. Und sie haben immer auf ihre Chance gewartet, über Mbappé, Griezmann oder Standardsituationen. Ich war von der Art ihres Spiels nicht begeistert, aber ich muss sagen, dass sie fußballerische Klasse haben. Natürlich ist die Abnützung für uns gefährlich. Aber wenn du das Finale schaffst und weißt, was in Kroatien passiert, will jeder alles geben.

STANDARD: Ist Frankreich Favorit?

Jurčević: Würde ich nicht sagen. Wir sind in einem euphorischen Zustand. Wenn du das Spiel gegen England siehst: Wir haben in der ersten Halbzeit nicht gut gespielt, nach unserem Tor aber waren wir in einem Rausch – unverwundbar.

STANDARD: War das 3:0 gegen Argentinien der Schlüssel?

Jurčević: Ja. Wir haben vor dem Spiel schon gewusst, dass es ein spezielles Match wird, besonders wegen Messi. Aber mit dem 3:0 hat die Mannschaft so viel Selbstvertrauen getankt, das war ein Knackpunkt und für unsere Spieler ein Signal: Aha, wir haben Argentinien geschlagen, wir können bis zum Ende in Russland bleiben.

STANDARD: Wo sehen Sie sich das Finale an?

Jurčević: Ich wollte für dieses Spiel nach Moskau fliegen, musste aber aus familiären Gründen zu Hause bleiben. Die letzten drei Spiele schaue ich immer mit meinen Freunden in einer Café-Bar nahe dem Stadtzentrum in Zagreb, ich trage immer dasselbe Trikot von Luka Modrić. Ich habe Fußball gespielt und alles erlebt, aber die Atmosphäre wie jetzt ist einzigartig.

STANDARD: Beruflich läuft es für Sie gerade nicht ganz rund.

Jurčević: Bis vor einem Monat war ich Trainer von Dinamo Zagreb, jetzt suche ich einen Verein.

STANDARD: Hätten Sie Lust, in Österreich zu arbeiten?

Jurčević: Ich habe sehr, sehr große Lust. Ich kenne das Land, kenne den Fußball, in Österreich habe ich die schönste Zeit meiner Fußballkarriere erlebt, das kann ich niemals vergessen.

STANDARD: Trainer Dalić hat gesagt: "Wenn Gott will, werden wir Weltmeister." Will Gott?

Jurčević: Ich bin sehr optimistisch. Wir sind ein katholisches Land, wir sagen in vielen Situationen, Gott möge uns helfen. Wir haben zweimal im Elferschießen gewonnen, er hat uns geholfen, wir haben Danke gesagt. Warum sollte das im Finale anders sein? (Christian Hackl, 13.7.2018)