Die Rotenturmstraße soll zur Begegnungszone werden, das will zumindest Verkehrsstradträtin Maria Vassilakou. Der Bezirk will vorab die Bürger befragen.

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Die Mariahilfer Straße ist zum Teil Begegnungs-, zum Teil Fußgängerzone.

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Flaniermeilen wie die Lange Gasse würden sich vor allem in den Innenstadtbezirken anbieten.

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Wien – Mit dem Auto in die Wiener City zu kommen könnte in Zukunft komplizierter werden. Bezirksvorsteher Markus Figl (ÖVP) will Experten und Bewohner befragen, ob und in welcher Art sie sich mögliche Zufahrtsregelungen vorstellen können. Dem Prozess wolle Figl nicht vorgreifen: "Ich schließe nichts aus", erklärte er am Freitag bei einem Gespräch mit Journalisten: "Ich denke aber, wir kommen Zufahrtsbeschränkungen in der Inneren Stadt einen Schritt näher."

Die möglichen Beschränkungen argumentiert Figl auch mit der von Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) angekündigten zeitweisen Öffnung der Anrainerparkplätze für Wirtschaftstreibende. So hatte Vassilakou angekündigt, jene 20 Prozent der Parkplätze, die aktuell exklusiv für Anrainer reserviert sind, werktags zwischen 8 und 16 Uhr für Handwerksbetriebe und Sozialdienste zu öffnen. Die Innere Stadt reagierte mit einer Bürgerbefragung, in der sich rund 92 Prozent gegen die Änderung aussprachen.

Beteiligungsprozess und Experten

Wie genau die Zufahrtsregelungen aussehen, solle ein Beteiligungsprozess zeigen. Dabei stünden für Figl sowohl eine Citymaut als auch bauliche Änderungen wie Schranken und Ähnliches zur Debatte. "Es braucht eine maßgeschneiderte Lösung für den ersten Bezirk", betonte der Vorsteher: "Alles ist eine Option. Aus meiner Sicht darf es keine Denkverbote geben." Ob nur der Teil innerhalb der Ringstraße von einer möglichen Beschränkung betroffen ist oder auch der darüber hinausgehende Bereich bis zur sogenannten Zweierlinie, soll ebenfalls geprüft werden.

Figl habe die Verkehrskommission des Bezirks bereits beauftragt, ein Verkehrskonzept für die Innere Stadt zu entwickeln. "Die Themen Verkehr und Parken sind im Bezirk sehr emotional", sagte Figl. So würden "sehr viele Wünsche und Ansprüche" in Bezug auf öffentliche Flächen vorherrschen. Es könne daher nur eine "gemeinsame Lösung" aller Beteiligten geben, die einen "Ausgleich" dieser Interessen schaffe. Bis wann ein Konzept vorliegen soll, ließ der Bezirksvorsteher offen. Jedenfalls solle es lieber "ein, zwei Monate länger" dauern, dafür genauer gemacht werden.

"Wir haben einen extrem hohen Nutzungsdruck in der Innenstadt", betonte Figl. Rund 17.000 Bewohner zählt der Erste, 250.000 Menschen halten sich täglich in dem Bezirk auf.

Gratulation und Kritik

Verkehrsstadträtin Vassilakou gratulierte in einem Statement an den STANDARD Figl "zu diesem Schritt", sie freue sich, "dass wir beide keine Zeit damit verlieren wollen, uns gegenseitig auszurichten, was alles nicht geht, sondern gemeinsam am 'big picture' – nämlich einem großen Verkehrskonzept für die Innere Stadt – arbeiten."

Beim ÖAMTC sei man "überrascht, dass sich der 1. Bezirk nun offen zeigt für eine Citymaut oder Fahrverbote", so ÖAMTC-Experte Nikolaus Authried in einer Aussendung. Aus Sicht des Mobilitätsklubs müssten bei derartigen Verkehrsmaßnahmen auch die sozialen Auswirkungen Eingang in die Beurteilung finden: "Die Wiener haben sich bei einer Volksbefragung 2010 klar gegen eine Citymaut ausgesprochen." Zu einer Einfahrgebühr oder einem Fahrverbot im ersten Bezirk müssten alle Wiener befragt werden.

Gefahren der Begegnungszone

Auch die Ausschreibung der Rotenturmstraße zur Begegnungszone verärgert den Bezirk. Figl fühlt sich von Vassilakou übergangen, diese würde "sehr abgehoben" agieren. Auch für die Umgestaltung wünscht sich der Bezirk die Einbeziehung der Bürger. "Es ist klar, dass dort etwas gemacht werden muss", sagte Figl, aber nicht von oben herab: "Das ist ein grundfalscher Zugang zur Politik." Eine mögliche Begegnungszone berge auch die "große Gefahr" zu vieler Schanigärten. Diese seien "nett, aber mit Maß und Ziel. Die Straße darf nicht zur reinen Eventzone verkommen", sagte Figl, der in der Inneren Stadt kein reines "Habsburg-Disneyland" wolle.

Wie eine mögliche Begegnungszone in der Verbindung zwischen Stephans- und Schwedenplatz aussehen könnte, ist offen. Für Ulrich Leth, Verkehrsexperte der TU Wien, ist das sowieso nur das Minimum. Eigentlich brauche es eine Fußgängerzone. Jedenfalls müsse der Fußverkehr mehr Fläche erhalten. 60.000 Fußgänger und 3.000 Fahrzeuge verkehren jeden Tag in der Rotenturmstraße. Die Verteilung der Flächen – schmale Gehsteige, zwei Park- und eine Fahrspur – stünden "in keinem Verhältnis" zum Verkehrsaufkommen.

Angepasste Niveaus

Leth plädiert dafür, die Gehsteigkanten zu entfernen und die Niveaus anzupassen, damit das Queren abseits von Zebrastreifen möglich ist. Auch bei einer Fußgängerzone, wie sie zum Teil auch die Mariahilfer Straße ist, sind Ladetätigkeiten und Lieferungen zu bestimmten Zeiten möglich.

Der Verkehrsexperte verweist zudem auf die am Donnerstag als Begegnungszone eröffnete Lange Gasse. Hier sei Parken in gekennzeichneten Zonen weiter erlaubt, auf weiteren Flächen kann angehalten und geladen werden. "Privatparkplätze vor der Haustür oder dem Geschäft sind aber nicht möglich." Im Ersten gebe es jedoch viele Parkgaragen und -plätze.

Sollte die Rotenturmstraße tatsächlich attraktiver für Fußgänger werden, muss zudem die Frage geklärt werden, ob die Citybusse weiterhin durchfahren. Leth wäre für eine Umleitung. "Bei Fußgängermassen in Wiener Begegnungszonen kommt ein Bus nicht gut voran", sagt er. Auch auf der Mariahilfer Straße sei das der Fall. In anderen Städten – etwa in der Grazer Herrengasse oder am Linzer Hauptplatz, wo Straßenbahnen fahren – funktioniere das besser.

Beruhigungspotenzial in Wien

Potenzial für Verkehrsberuhigung gebe es en masse. Flaniermeilen wie die Lange Gasse würden sich als Verbindung von Plätzen, Parks und Märkten anbieten. Es brauche aber eine hohe Geschäfts- und Fußgängerfrequenz. Nicht angetan ist Leth von Wohnstraßen, sie würden nicht funktionieren. "Die bauliche Umgestaltung ist wichtig, damit Menschen sich auf die Fahrbahn trauen."

Optimal sei die Gestaltung der Begegnungszonen in Wien nicht. Noch immer herrscht in der Pflasterung ein Unterschied zwischen Geh- und Fahrteil. "Wenn es diese nicht gibt, steigt die Aufmerksamkeit", sagt Leth.

Ohne die Oberfläche zu ändern, rät Leth auch zur Beruhigung etwa in den Bezirken 15, 16 und 17 – in den Parallelstraßen zum Gürtel. Der Durchzugsverkehr jener, die am Gürtel die Ampeln meiden wollen, sollte eingedämmt werden. Dadurch würden die Wohngebiete attraktiver. Möglich wäre das etwa durch gegenläufige Einbahnen oder Rechtsvorrang. Derzeit sind viele Schleichwege Vorrangstraßen. (Oona Kroisleitner, 13.7.2018)