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Schicken die Krankenkassen mit Aktenkoffer bewaffnete Prüfer los, kann das für Firmen teuer werden. Doch nun soll die Sozialversicherung dieses Recht verlieren – um Unternehmer zu schonen?

Foto: Picturedesk/dpa/Oliver Berg

Schickt Richard Nowatschek seine Leute los, kann es für besuchte Firmen teuer werden. 66 Prüfer unterstehen dem Abteilungsleiter bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), allesamt darauf spezialisiert, unbezahlte Steuern- und Abgaben einzutreiben. Nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge, falsch abgerechnetes Urlaubsentgelt, kostengünstig als Scheinselbstständige eingestufte Mitarbeiter zählten zu den Klassikern, berichtet Nowatschek, wobei die Mehrzahl der Fehler unabsichtlich passiere: "Manche Dienstgeber sind sogar froh, dass wir sie aufklären."

Nachzahlen muss am Ende freilich jeder Ertappte, und das waren im Vorjahr nicht wenige. Laut WGKK spielte das Team 2017 rund 62 Millionen an Nachträgen ein, eine runde Million pro Prüfer.

Versteckter Aufreger

Dennoch droht Nowatscheks Abteilung die Auflassung. Denn wie von der Regierung beschlossen, soll künftig ausschließlich die Finanzbehörde für die Prüfung zuständig sein. Im Streit um die mögliche Auflösung der Unfallversicherungsanstalt AUVA und aufgrund anderer "Aufreger" der Sozialversicherungsreform ging dieser Punkt etwas unter, doch die Folgen könnten dramatisch sein, warnt WGKK-Obfrau Ingrid Reischl im Gespräch mit dem STANDARD: "Den Krankenkassen drohen enorme Verluste."

Dazu muss man wissen, dass die Finanzämter und Gebietskrankenkassen die Abfuhr der lohnabhängigen Abgaben seit 15 Jahren gemeinsam überprüfen. In der Regel wechselten sich die Teams ab, erläutert Nowatschek, beide Seiten arbeiteten nach demselben Prinzip. Überprüft wird nicht nur, ob die Dienstgeber zum festgesetzten Entgelt die Abgaben zahlen, sondern auch nach dem sogenannten Anspruchsprinzip: etwa ob ein Arbeitnehmer laut Kollektivvertrag richtig eingestuft ist oder alle Extrazahlungen erhält.

Wer am strengsten prüft

Dennoch sind die beiden Institutionen beim Prüfen nicht gleich erfolgreich – das zeigen zumindest Zahlen aus dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Demnach haben die 248 Prüfer aller Gebietskrankenkassen im Vorjahr österreichweit 197,2 Millionen Euro an unbezahlten Steuern und Abgaben "gefunden", macht gut 795.000 Euro pro Kopf. 231 Finanzer kamen hingegen "nur" auf 141,4 Millionen, ergo 612.000 Euro pro Person.

Zurück bleibt die Finanzverwaltung auch dann, wenn man den Erfolg mit den vorab vereinbarten Zielvorgaben vergleicht. Die Prüfer der Krankenkassen landeten im Vorjahr um 1,2 Millionen über dem Sollwert, jene der Finanz um 47,9 Millionen darunter. Nicht anders war das Bild 2016 oder auch vor fünf Jahren, anno 2012: Die Kassen lagen über dem Soll, die Finanzbeamten darunter.

Seit 2007 lägen die Prüfer aus der Sozialversicherung permanent im Plus, rechnet man im Hauptverband vor. Die Kollegen von der Finanz hingegen verbuchten mit Ausnahme der Jahre 2010 und 2011 immer ein Minus.

Gegenrechnung des Ministeriums

Das Finanzministerium kontert auf Nachfrage mit einer Gegenrechnung, die auf den Erfolg pro Fall abstellt: Laut dieser Daten holen die Prüfer der Finanz pro Fall im Schnitt rund 14.300 Euro, während die Prüfer der Gebietskrankenkassen etwa 13.600 Euro schaffen. Das bedeute, dass die Finanz mit weniger Personal in ihrer Arbeit effizienter sei, heißt es aus dem Büro von Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP). Konzilianter Nachsatz: Erfolgreich seien die Prüfer beider Seiten.

Warum das System dann geändert werden müsse? Sowohl Finanz- als auch Sozialministerium argumentieren mit Synergieeffekten: Eine gemeinsame Behörde, in der die Prüfer beider Institutionen zusammengefasst werden, verspreche mehr Effizienz.

Zuckerl für Unternehmer

Die Erfolgsbilanz der Krankenkassen spreche klar dagegen, argumentiert hingegen Reischl und vermutet hinter der Aktion das Ziel, die Sozialversicherung Schritt für Schritt in die direkte Kontrolle des Staates zu ziehen: Zu einer Selbstverwaltung, wie sie jetzt noch besteht, gehöre nun einmal das Recht, die Beiträge selbst einzuheben und zu prüfen.

Inoffiziell kursiert in der Sozialversicherung noch ein Verdacht: Durch die mildere Prüfung der Finanz, die das Anspruchsprinzip traditionell nicht so stark intus habe, wolle die Regierung Unternehmen ein Geschenk machen. (Gerald John, 15.7.2018)