Wien – Jahrelanger Stammgast bei einem Wirt zu sein hat unzweifelhaft Vorteile – seien es Tischreservierungen im eigentlich ausgebuchten Etablissement oder die Möglichkeit, Speisen und Getränke nicht gleich bei der Lieferung, sondern erst am Ende des Abends zahlen zu müssen. Franz R. scheint für diesen Status aber viel erduldet zu haben, wie sich im Prozess gegen Zdravko M. zeigt.

Der 54-jährige M. ist Gastronom in Wien-Brigittenau und soll seine Kundschaft nicht immer wie gekrönte Häupter behandeln, behauptet zumindest Zeuge R. im von Richterin Elisabeth Reich geführten Verfahren. "Ich bin seit sieben Jahren dort Stammgast, aber wenn er betrunken ist, fängt er immer zu schimpfen an", verrät der 61-Jährige. Worte wie "Scheißhofräte" oder "Scheißrote" sollen dann fallen, erzählt R., der in der Führungsebene eines öffentlichen Unternehmens beschäftigt ist.

Am 30. Oktober habe er bis etwa 18.30 Uhr gearbeitet und sei gegen 18.45 Uhr bei M. auf einen Spritzer eingekehrt. "Er war komplett betrunken, er hat dann angefangen, mich wie üblich zu beschimpfen", erinnert sich der Zeuge. "Wie?", interessiert die Richterin. "Dass ich Dreck bin." – "Und das ist wirklich Ihr Stammlokal?", wundert sich Reich über die Treue. "Es ist ja nett dort, und ich wohne um die Ecke."

Zersprungene Spritzergläser

An diesem Abend sei es ihm aber zu blöd gewesen, nach zwei Schluck habe er beschlossen, wieder zu gehen. "Da ist mein Glas zersprungen", behauptet R., wiewohl nicht ganz klar wird, warum. M.s Reaktion laut R.: "Er hat sein Spritzerglas nach mir geworfen, dann ist er plötzlich vor mir gestanden und hat begonnen, mich zu schlagen und zu treten." Er sei völlig überrascht gewesen, schildert der Zeuge, sei auch zu Boden gegangen, um sich zu schützen, danach habe der Wirt ihn durch den Raum gejagt, ehe er flüchten und um etwa 19.15 Uhr die Polizei alarmieren konnte.

"Das geht schon sehr weit auseinander", sagt die Vorsitzende nach dieser Schilderung zum Angeklagten. Der hatte am ersten Prozesstag nämlich behauptet, R. sei betrunken gewesen und habe randaliert, woraufhin er ihn hinausgeworfen habe – allerdings ohne Schläge und Tritte. M. bleibt aber auch jetzt dabei. Er behauptet auch weiter, nicht betrunken gewesen zu sein – er habe an dem Tag maximal seine üblichen drei Spritzer Weiß intus gehabt.

Reich hat aber auch an Zeugen R. noch Fragen. "Gab es schon früher Auseinandersetzungen zwischen Ihnen?" – "Nein, keine Tätlichkeiten, nur Diskussionen." – "Gab es Probleme zwischen Ihnen und Ihrer Partnerin? Das behauptet Herr M. nämlich auch." – "Nein." – "Und haben Sie schon früher Probleme mit dem Meniskus gehabt?" – "Nein."

Operation wegen Meniskusproblemen

Der Meniskus spielt eine Rolle, da eine Beschädigung desselben im Zuge der Auseinandersetzung der Grund für die Anklage wegen schwerer Körperverletzung ist. R. soll aber bereits vor dem Vorfall gegenüber anderen Lokalgästen über Knieschmerzen geklagt haben, sagt der Angeklagte.

Die Richterin hat daher den Gerichtsmediziner Christian Reiter ein Gutachten erstellen lassen. Der Experte kommt zu einem überraschenden Schluss: Die Schäden des Meniskus und des Kniegelenks seien eine natürliche Abnützungserscheinung. "Herr Magister R. hat O-Beine, das ist so." Reiter geht auch davon aus, dass der Zeuge schon zuvor Beschwerden hatte.

Allerdings verraten ihm die Spitalsunterlagen, dass R. kurz nach dem 30. Oktober doch eine im juristischen Sinne schwere Verletzung hatte: ein eingerissenes Seitenband mit Einblutungen im Knie. Wie die Verletzung entstanden ist, kann Reiter aber nicht sagen. "Er könnte auch einfach gestürzt sein."

Erst durch den Versuch der Abklärung dieser Verletzung hätten die Ärzte auch einen beschädigten Meniskus vermutet und eine Operation durchgeführt. "Die hätte Herr Magister R. aber innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre in jedem Fall gebraucht."

Bevor sie eine Entscheidung trifft, will die Richterin noch weitere Zeugen, darunter die einschreitenden Polizeibeamten, hören und vertagt auf den 6. September. (Michael Möseneder, 17.7.2018)