Bei "Beatrice Cenci" ist das Risiko – im Gegensatz zu "Carmen" auf der Seebühne – nur ein künstlerisches. Berthold Goldschmidts Oper wird ab Mittwoch im Festspielhaus gezeigt.

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Elisabeth Sobotka: "Man braucht Stücke, die ohne Verlust eine Übersetzung ins Große vertragen."

Foto: Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

STANDARD: Die Bregenzer Festspiele haben eine lange Erfahrung in der Risiko-Abschätzung. Inwieweit haben Sie in diesem Konstrukt überhaupt Gestaltungsspielraum?

Sobotka: In der auch von mir übernommenen Struktur der Festspiele geht es darum, das Risiko am See sehr gut zu kalkulieren und sich dafür im Festspielhaus und auf der Werkstattbühne auch einmal auf verrückte Projekte einzulassen. Das war der Punkt, den ich so spannend gefunden habe, als ich mich entschieden habe, nach Bregenz zu gehen: Einerseits bieten wir ein riesiges Spektakel im besten Sinne – sehr qualitätsvoll, tolle Bilder, tolle Sänger, tolle Musik – für ein breites Publikum. Andererseits machen wir feine, hochkomplexe Stücke an anderen Orten. Genau das macht den Reiz dieser Festspiele aus. Die verschiedenen Programmreihen befruchten einander gegenseitig.

STANDARD: War es für Sie persönlich auch ein Schritt, der mit Bauchweh verbunden war, dieses Amt anzutreten?

Sobotka: Ich muss zugeben: Als ich das erste Mal gefragt wurde, konnte ich mir noch gar nicht vorstellen, nach Bregenz zu gehen. Natürlich war ich früher schon bei den Festspielen. Ich war dann aber überwältigt, als ich erstmals von der Bühne auf die Tribüne geschaut habe, die unglaublich homogen wirkt. Das ist ein sehr schöner Anblick, auch der ganze Festspielbezirk und das gewachsene Gebäude, das wirklich ein perfektes Opernhaus ist, obwohl es außerhalb der Saison auch anders genutzt wird. Da habe ich mich dann doch verführen und bezaubern lassen. Natürlich musste ich (nach der Zeit als Intendantin der Oper Graz, Anm.) umdenken – aber man kann hier Akzente setzen.

STANDARD: Wie eingeschränkt sind die Möglichkeiten für die Seeoper in dieser besonderen akustischen Situation? Ist das nicht auch ein Hemmschuh?

Sobotka: So habe ich das nie gesehen, da ich immer mit Künstlern zusammengearbeitet habe, die von der Situation begeistert waren. Natürlich ist man in der Stückwahl eingeschränkt. Ich wäre zum Beispiel bei Mozart skeptisch. Man braucht Stücke, die eine Übersetzung ins Große ohne Verluste vertragen. Puccini und Verdi sind ideal.

STANDARD: Kann man am See nicht fast jedes Stück spielen, da das Publikum eh auf die Seebühne will?

Sobotka: Das darf man nicht überschätzen! Das Publikum und auch die Ticket-Wiederverkäufer reagieren sensibel auf Titel. Unsere starke Marke ermöglicht jedenfalls ein klein wenig Spielraum.

STANDARD: Was müssten Sie denn machen, um sich komplett zu verkalkulieren?

Sobotka: Zum Glück habe ich in Michael Diem einen idealen kaufmännischen Geschäftsführer, der auch stark künstlerisch denkt. Er würde das gar nicht zulassen. Natürlich ist die Erfahrung mit Andrea Chénier noch präsent. Es war ein großer künstlerischer Erfolg, aber finanziell schwierig. Für uns ist wichtig, gemeinsame Einschätzungen zu treffen.

STANDARD: Daneben können Sie experimentieren – haben Sie genug Raum für künstlerisches Risiko?

Sobotka: Da gibt es schon Freiraum. Ich bin mir etwa bei der Oper im Festspielhaus nicht immer sicher, ob sie das Publikum akzeptiert. Da gebe ich schon mein innerstes künstlerisches Verständnis preis und biete das den Menschen an. Ob der Funke überspringt, muss sich dann erst zeigen. Es ist natürlich kein Risiko, das für das Weiterbestehen der Festspiele entscheidend ist. Aber wir wollen und können hier schon auch etwas wagen.

STANDARD: Auch im Festivalbereich werden derzeit bewegende Themen diskutiert. Der Rechnungshof hat lange vor Ihrer Zeit kritisiert, dass die Mitarbeiter zu lange arbeiten müssen. Können Sie Ihre Hand ins Feuer legen, dass es hier nicht zu ähnlichen Diskussionen kommt, wie wir es vor Jahren in Salzburg und jüngst in Erl erlebt haben, was die Arbeitsbedingungen betrifft?

Sobotka: Es ist immer eine Frage des Respekts und der Wertschätzung, die das Arbeitsumfeld bestimmt. Wir haben von unserer Struktur her eine gute Basis. Das Orchester hat einen klassischen Kollektivvertrag – hier könnte es gar keine Ausbeutungsversuche geben. Und wir versuchen, auch bei Sängerinnen und Sängern sehr vorsichtig zu sein und sie zu schützen. Natürlich gibt es grenzwertige Situationen: Als wir die Carmen-Darstellerinnen gebeten haben zu tauchen, könnte man das zunächst kritisch sehen. Wir haben das aber nicht einfach angeschafft, sondern mit den Sängerinnen gemeinsam entwickelt.

STANDARD: Als Neuheit bringen Sie "Das Jagdgewehr" von Thomas Larcher in der Regie von Karl Markovics. Ist es nicht riskant, jemanden eine Oper schreiben zu lassen, der das noch nie gemacht hat, und auch noch Opern-Neulinge für die Regie zu engagieren?

Sobotka: Ja und nein: Es ist insofern nicht riskant, weil die Entwicklung von Thomas Larcher aus meiner Sicht nach einer Oper gerufen hat. Er hat schon sehr viel mit Stimme gearbeitet und gerade ein großes Stück für die Wiener Philharmoniker geschrieben. Dass ein qualitätsvolles Musiktheaterwerk entstehen wird, ist keine Frage. Genauso sehe ich das bei Karl Markovics, den sich Larcher selbst gewünscht hat. Beide haben viel Respekt und Hochachtung vor der Kunst des anderen. Deshalb ist es weniger ein Risiko als eine Chance, dass da wirklich etwas ganz Besonderes entsteht. (Daniel Ender, 17.7.2018)