Wien – Im Jänner mussten sich Gernot B. und Marie-Sophie E. (Namen geändert, Anm.) noch als Paar vor einem Schöffengericht unter Vorsitz von Wolfgang Etl wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs verantworten. B. sitzt mittlerweile in Haft, die Beziehung, aus der ein elfjähriger Sohn stammt, überlebte das nicht. Die 35-jährige E. muss nun also als Alleinerzieherin auf ihr Urteil warten.

Ihr wird vorgeworfen, gemeinsam mit ihrem Ex über Jahre ein erstaunlich gutes Leben geführt zu haben, ohne die Rechnungen dafür zu begleichen. Man mietete sich in noblen Domizilen ein, ohne zu zahlen, ließ sich Speisen aus exquisiten Lokalen liefern, bestellte hunderte Flaschen Wein von renommierten Winzern. 42.732,23 Euro Schaden werden E. in der Anklage zur Last gelegt.

Am ersten Prozesstag hatte Verteidiger Florian Kreiner ein psychiatrisches Gutachten über seine Mandantin beantragt, das vom Senat auch eingeholt wurde. Als der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann sein Ergebnis präsentiert, zeigt sich, warum die Rolle psychiatrischer Sachverständiger in der Justiz umstritten ist.

Zwischen "grenzwertiger Erkrankung" und Zurechnungsunfähigkeit

Hofmann ist nämlich bereits der vierte Experte, der sich in Österreich mit E. im Auftrag eines Strafgerichts beschäftigt. Zwei seiner Vorgänger kamen zu dem Schluss, dass die in finanziellen Dingen besachwaltete Frau zurechnungsunfähig sei. Der dritte meinte dagegen, sie wisse sehr wohl, was sie tue, und habe überhaupt lediglich "eine grenzwertige Erkrankung" – entspreche also nur knapp nicht der Norm.

Hofmann erläutert nun seine Sicht der Dinge, die er aus einem knapp halbstündigen Gespräch und Aktenstudium gewonnen hat: E. sei zurechnungsfähig, litt zum Tatzeitpunkt aber an einer "erheblichen Erkrankung", die aus einer mehrschichtigen Persönlichkeitsstörung, Depression und problematischem Alkoholkonsum bestehe.

"Es sind sehr widersprüchliche Gutachten", gibt Hofmann zu. Er sei aber überzeugt, dass die psychischen Probleme der Frau nicht so gravierend seien, dass sie sich nicht mehr unter Kontrolle habe. "Bei der Frage, was unter freiem Willen noch möglich ist, komme ich zu anderen gutachterlichen Schlüssen als manche meiner Vorgänger."

Psychische Probleme "kein Freibrief"

Er neige dazu, "keinen Freibrief auszustellen", da sonst auch jeder Hochstapler straffrei ausgehen müsste. E. wollte sich einen "aufwendigen Lebensstil leisten, der für sie adäquat schien", argumentiert Hofmann. "Aber dass ich nichts erwerben kann, was ich mir nicht leisten kann, weiß jedes Kind", gibt sich der Universitätsdozent sicher.

Der Einwurf, dass die Subprime-Krise in den USA ausgelöst wurde, da ungesicherte Kredite zum Immobilienkauf vergeben wurden, kommt nicht. Verteidiger Kreiner versucht dagegen darauf hinzuweisen, dass Hofmann sich frühere Diagnosen E.s nicht angesehen habe. Bereits 2001 sei etwa in Deutschland vermutet worden, dass die Frau eine krankhafte Lügnerin sei. Den Sachverständigen ficht das nicht an, er bleibt bei seiner Meinung, den Antrag auf ein weiteres Gutachten lehnt der Senat ab.

Tränenreiches Schlusswort

Als E. das Schlusswort erhält, beginnt sie zu schluchzen und bemüht sich, einen offenbar vorbereiteten Text vorzutragen. Sie beteuert, jetzt in engmaschiger Behandlung zu sein und gesetzeskonform zu leben, weist auf ihre Rolle als Alleinerzieherin hin und beginnt dann etwa abzugleiten. "Ich habe unter meinem kranken Bruder, meinem alkoholkranken Vater und meiner narzisstischen Mutter gelitten", offenbart sie unter Tränen. "Gut, es heißt Schlusswort und nicht Lebensgeschichte", mahnt der Vorsitzende sie zur Eile.

Nach kurzer Beratung verurteilt das Gericht E. zu 15 Monaten Haft. Fünf davon sind unbedingt, Etl weist aber darauf hin, dass ein elektronisch überwachter Hausarrest möglich sei. Die Angeklagte muss zudem den Schaden wiedergutmachen, so das noch nicht erledigt ist. Eine offene Vorstrafe wird nicht widerrufen. E. akzeptiert die Entscheidung, die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 17.7.2018)