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Das Foto, auf dem Angela Merkel beim G7-Gipfel in Kanada streng auf Donald Trump schaut, ging um die Welt – als Symbol für einen selbstbewussten Umgang mit dem sprunghaften US-Präsidenten.

Foto: AP

Ob Nato-Gipfel in Brüssel, Handelskriege mit China und der EU, der Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran oder das Helsinki-Treffen mit Wladimir Putin: Donald Trump dominiert die internationale Agenda. Der US-Präsident setzt Begriffe und Themen – vor der Kamera, via Twitter oder mithilfe seiner Freunde von Fox News. Und auch sein Team weiß, dass Sprache Macht ist, dass sie Realität niemals bloß abbildet, sondern auch schafft. Sie zu kontrollieren daher heißt, den diskursiven Rahmen zu ziehen, in dem sich Politik vollzieht.

Wir Europäer tun uns schwer mit diesem Präsidenten, mit seinen Irritationen und Meinungsänderungen, mit dem Überangebot an alternativen Wahrheiten, die er uns täglich liefert. Und doch versuchen wir, seine Person und seinen Geisteszustand immer weiter zu ergründen – die "wahren" Absichten hinter dem Gesagten. Was wird er als Nächstes tun, fragen wir uns. Kommt es noch schlimmer? Ist die Welt, wie wir sie kennen, vorbei, wie "Der Spiegel" nach Trumps Wahlsieg titelte? Falls ja, was dann?

Um Antworten zu finden, entwickeln wir ausgefeilte Modelle, mit denen die Zukunft vorhergesagt werden soll. Wir identifizieren Triebkräfte, bilden und diskutieren Szenarien, fundieren sie wissenschaftlich und koppeln sie an Theorie und Methode zurück. Und doch werden wir immer wieder überrascht von diesem Mann im Weißen Haus, der uns so fremd erscheint, und landen bei Einschätzungen, die an die Kreml-Astrologie des Kalten Krieges erinnern. Doch gibt es Möglichkeiten, uns diese Situation zumindest zu erleichtern. Und einen Weg zu gehen, der im Idealfall in einer gemeinsamen, europäischen Amerikapolitik mündet, die unter einem Wort zusammenzufassen ist: Emanzipation!

Dazu sind drei Schritte nötig:

Erstens müssen wir anerkennen, dass die USA über ein beispielloses Machtpotenzial verfügen. Sie sind, wie es der Historiker Paul Kennedy ausdrückt, "die stärkste Supermacht, die es je gegeben hat". Mit nur fünf Prozent der Weltbevölkerung stellen sie 25 Prozent der Weltwirtschaft, über ein Drittel der Militärausgaben und geben bei weitem am meisten für Forschung und Entwicklung aus, fast 500 Milliarden US-Dollar jährlich. Zudem sind sie die Heimat von fast 600 der 2.000 profitabelsten Konzerne der Welt und 50 der 100 Topuniversitäten. Sie können binnen einer Stunde überall auf dem Globus militärisch zuschlagen. Dazu kommen eine günstige Demografie und Geografie. Kurzum: Trump handelt so, weil er es kann.

Zweitens müssen wir beachten, dass auch der gegenwärtige US-Präsident in einer Frage nicht vom Elitenkonsens innerhalb der USA abweicht, nämlich der Überzeugung, dass Amerika nach eigenem Selbstverständnis eine exzeptionelle Nation mit besonderer Mission ist, die allein über ihr Schicksal entscheidet. Ihre Bürger bestimmen den Platz des Landes in der internationalen Staatenhierarchie und sonst keiner, auch China und Russland nicht. Nummer zwei zu sein ist keine Option – auch für Trump-kritische Kolumnisten von der "New York Times" und "Washington Post" oder renommierte US-Denkfabriken wie die Brookings Institution oder das Council on Foreign Relations nicht. Und sie repräsentieren nur eine Teilöffentlichkeit in den USA, weshalb ein Blick auf Trump-freundliche Plattformen wie "American Greatness", "Breitbart", die Meinungsseite des "Wall Street Journal" und "The American Conservative" lohnt.

Weltsicht nicht übernehmen

Daher müssen wir uns drittens davor in Acht nehmen, US-amerikanische Diskurse eins zu eins nachzuerzählen. Denn damit geht die Übernahme von Bedeutungen und Weltsichten einher, die wir womöglich gar nicht gutheißen. Dazu gehört, dass die Führungsrolle der USA auch über ihre vermeintliche Abwesenheit legitimiert werden kann. Werden etwa Krisen in der Ukraine, der Nato oder Syrien mit einem "Rückzug" der USA in Verbindung gebracht oder als Indiz für einen "Niedergang" der einzigen Supermacht gewertet, dann folgt daraus auch, dass andere Nationen und die Welt insgesamt einer Führung bedürfen, und zwar der Washingtons.

Gewiss sind es unruhige Zeiten, die uns vor ganz besondere Herausforderungen stellen. Doch bieten diese auch Räume für Eigenständigkeit und Emanzipation. Denn eines ist klar: Wenn Trump Europa und Deutschland im Besonderen kritisiert und als Projektionsfläche für alles Schlechte und Negative nutzt, dann geht damit – ob er das will oder nicht – stets eine implizite Anerkennung unserer Zentralität einher. Und von dieser kann auch Positives erwachsen. Insofern: nur Mut zu mehr Eigenständigkeit! Emanzipiert euch – zuallererst im Denken! (Tobias Fella, 17.7.2018)