Es gibt keine Zahlen, wie viele Mädchen in heimischen Kindergärten ein Kopftuch tragen. Viele dürften es nicht sein. Selbst in islamisch-konfessionellen Volksschulen trägt nur rund jede Siebente einen Kopfschleier.

Foto: Heribert Corn

Wien – Es ist ein Thema, das die Nation spaltet, die Politik beherrscht und zahlreiche Juristen beschäftigt: kleine Mädchen, denen ein Tuch um den Kopf gebunden wird. Wie viele es davon tatsächlich gibt, ist unbekannt. Offizielle Statistiken über Kopftuchträgerinnen in heimischen Kindergärten werden nicht geführt. Die Islamische Glaubensgemeinschaft hat kürzlich aber erhoben, dass sogar in muslimisch-konfessionellen Volksschulen lediglich 15 Prozent der Mädchen einen Kopfschleier tragen.

In öffentlichen Schulen und Kindergärten ist der Anteil wohl wesentlich geringer. Nichtsdestotrotz möchte Türkis-Blau das religiöse Symbol als Zeichen der Unterdrückung verbieten – zumindest in Kindergärten. Doch ist das rechtlich überhaupt möglich?

Der Verfassungsdienst, der im Justizministerium angesiedelt ist, sagt: Ja. In einem Gutachten, das dem STANDARD vorliegt, wird das vornehmlich mit Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) begründet, der in einer Reihe von Urteilen ein Verbot religiöser Symbole und Bekleidung für zulässig erachtet habe. Das stimmt. Grundsätzlich.

Vorbildfälle aus der Türkei

Allerdings sind die Fälle doch recht anders gelagert: Zwei der fünf angeführten Causen spielen in der Türkei. Studentinnen und Professorinnen der Universität Istanbul hatten Anfang der 2000er-Jahre versucht, gegen das Kopftuchverbot an der Hochschule vorzugehen – erfolglos. Zwei Beispiele kommen aus Frankreich, einem laizistischen Staat, in dem die strikte Trennung zwischen Kirche und Staat Tradition hat. Darüber hinaus wird angeführt, dass der Gerichtshof in Zusammenhang mit dem auch für muslimische Mädchen verpflichtenden Schwimmunterricht in der Schweiz hervorgehoben hat, dass die Schule eine besondere Rolle im Integrationsprozess spiele.

"Mit Mädchen in österreichischen Kindergärten hat das im Grunde alles nicht viel zu tun", sagt der Verfassungsjurist Karl Weber, der das Papier des Verfassungsdienstes für den STANDARD analysiert hat. Die Darstellung sei überdies verkürzt: "Der EGMR hat Kopftuchverbote immer für weitestgehend unzulässig erklärt, außer es gibt ein allgemeines Neutralitätsgebot, das für alle Religionen gilt." Insgesamt sei das Gutachten "dünn".

Geschwafel über Sexualisierung

Ähnlich sieht das der Verfassungsrechtler Heinz Mayer: "Die Begründung der Regierung ist völlig an den Haaren herbeigezogen", sagt er. "In Österreich wäre ein Kopftuchverbot dann möglich, wenn die kleinen Mädchen die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden würden. Das ist wohl zu bezweifeln." Um Kopftücher aus den Kindergärten zu verbannen, sollten besser die Pädagoginnen mit den Eltern der betroffenen Kinder sprechen, findet Mayer.

So sieht das auch der Jurist Theo Öhlinger. Er hält ein Kopftuchverbot für "nicht sinnvoll in der Sache", vertritt in der rechtlichen Analyse jedoch eine andere Meinung: "Wenn es gut gemacht ist, könnte ein Verbot vor dem Verfassungsgerichtshof halten." Die Begründung der Regierung, die auf die "frühzeitige Sexualisierung" der Mädchen abzielt (siehe Infobox unten), hält Öhlinger aber für "unnötiges Geschwafel".

Einigung mit Ländern steht aus

Würde ein Kopftuchverbot in Kindergärten umgesetzt, müsste eine Betroffene – oder für sie ihre Eltern – dagegen vorgehen. Schlussendlich würde der Verfassungsgerichtshof eine Entscheidung treffen. Das kann er aber nur in Bezug auf einen konkreten Fall und nicht bereits jetzt präventiv.

Zuallererst müssen ÖVP und FPÖ aber die Länder überzeugen, die für Kindergärten zuständig sind. Türkis-Blau will das über eine Vereinbarung in Sachen Kinderbetreuung machen, in die das Kopftuchverbot einfach hineingeschrieben wird. An einem Gesetz für ein Verbot in Volksschulen arbeitet derzeit das Bildungsministerium. Dort will man erst Gespräche führen und sich auf keinen Zeitplan festlegen. Bis die Verbote tatsächlich gelten, könnte es also ohnehin noch dauern. (Katharina Mittelstaedt, 17.7.2018)