Bundespräsident Alexander Van der Bellen lobt die Sozialpartnerschaft und kritisiert den Bundeskanzler.

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Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Brüssel.

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Wien/Brüssel – Nach den tagelangen Angriffen aus der FPÖ gegen den EU-Kommissionspräsident samt Rücktrittsaufforderungen meldete sich Jean-Claude Juncker am Mittwoch persönlich zu Wort: Er wundere sich, "wie viele medizinisch geschulte Experten" es in der österreichischen Innenpolitik gebe, sagte er beim Mittagsbriefing der EU-Kommission in Brüssel auf eine Frage des STANDARD.

Er habe schon länger "mit Ischias zu tun, am Mittwoch hatte ich Krämpfe in den Beinen", erklärte er, warum er beim Familienfoto der Staats- und Regierungschefs der Nato-Allianz beim Gehen gestrauchelt war und von Kollegen gestützt wurde.

Wie berichtet, hatte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky auf der Website der FPÖ anhand von TV-Videos Zweifel an den Rückenschmerzen geäußert und dem Kommissionschef "ein Alkoholproblem" vorgeworfen, weswegen er noch vor den EU-Wahlen zurücktreten solle.

Der "torkelnde" Juncker sei zur "Lachnummer der Union" geworden, er schade Europa, hieß es aus der FPÖ. Vizekanzler und Parteichef Heinz-Christian Strache assistierte auf Facebook, wo er am Wochenende den Ischiasanfall ebenfalls in Zweifel zog.

"Ich verlange Respekt"

Auf Vilimskys Aussagen angesprochen, zitierte der Kommissionspräsident den Schriftsteller Christian Morgenstern: "Auf euren ganzen Kleinkram lach ich, ein Philosoph, aus heitrer Höh".

Nachgefragt, ob die Darstellung eines Kommissionssprechers, wonach beim Vorfall beim Nato-Gipfel kein Alkohol im Spiel gewesen sei, richtig sei, sagte er: "Es war korrekt am Mittwoch, es ist korrekt heute früh, und es wird korrekt sein heute Abend und morgen früh." Leicht verärgert fügte er hinzu: "Ich verlange Respekt."

Bundeskanzler Sebastian Kurz hat sich bisher jeglicher Reaktion enthalten. Auf Anfragen des STANDARD heißt es seit Samstag, der Kanzler wolle das intern zur Sprache bringen. Mit Ausnahme des EU-Abgeordneten Othmar Karas und von EU-Kommissar Johannes Hahn, die die Vilimsky-Angriffe auf Juncker als "inakzeptabel" einstuften und eine offizielle Entschuldigung verlangten, herrscht in der ÖVP Schweigen.

Van der Bellen setzt Kritik an Regierung fort

Umso mehr wächst sich der Fall inzwischen zu einer schleichenden Koalitionskrise aus, nachdem Bundespräsident Alexander Van der Bellen in Interviews "Angriffe, die ich in dieser Form noch nie erlebt habe", scharf kritisierte. Vilimskys Beschimpfungen nannte er eine "unflätige Art". Es sei "zu wenig zu sagen, dass man nichts sagt", kritisierte der Präsident den Kanzler, ohne ihn beim Namen zu nennen.

Das wiederum brachte Vilimsky dazu, sich am Mittwoch gegen Van der Bellen einzuschießen und seine Vorwürfe gegen den Kommissionspräsidenten zu bekräftigen. Der Bundespräsident sei "ein frustrierter Grüner", der zum EU-Establishment gehöre, das er immer kritisiert habe, wird der FPÖ-Generalsekretär und EU-Abgeordnete im Blatt Österreich zitiert. Und Vilimsky stellt auch den Bundespräsidenten infrage: "Er ist zwar gewählt, aber er agiert nicht überparteilich, mein Präsident ist er nicht."

Ins selbe Horn stieß der zweite FPÖ-Generalsekretär, Christian Hafenecker. Er warf Van der Bellen Einseitigkeit vor. Van der Bellen solle seine "grüne Sommerbrille" wieder abnehmen und zur "notwendigen Ausgewogenheit" zurückkehren", forderte Hafenecker in einer Aussendung. Parteichef Heinz-Christian Strache äußerte sich am Mittwoch zunächst nicht. Aber er verlinkte auf Facebook zu einem Zeitungsbericht unter dem Titel "Torkelnder Juncker: Vilimsky legt nach".

Der Bundespräsident ging bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele in Vorarlberg auf diese Entwicklungen nur indirekt ein. In seiner Eröffnungsrede sagte er in einem kleinen Seitenhieb gegen seinen Vorredner Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP): Die Reden würden sich teilweise überschneiden, "das kommt davon, dass wir uns nicht abgesprochen haben – wie üblich".

In seinem Plädoyer für die Freiheit der Kunst und der Medien sagte er: "Unsere liberale Demokratie braucht Journalistinnen und Journalisten, die dem Wahrheitsgehalt etwa von Gerüchten, manche sprechen gar von 'stichhaltigen Gerüchten', nachgehen." FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus hat im Frühjahr behauptet, es gäbe "stichhaltige Gerüchte", wonach der US-Milliardär George Soros daran beteiligt sei, "Migrantenströme nach Europa zu unterstützen". (Thomas Mayer aus Brüssel, Jutta Berger 18.7.2018)