"New York, New York" steht auf dem gelben T-Shirt von Dong Yaoqiong ...

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... als sie mit schwarzen Tinte ein Plakat ...

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... mit dem Bild von Chinas Präsident Xi Jinping verunstaltet.

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Seither ist sie in China als das "Tintenmädchen" bekannt ...

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... und hat viele Nachahmer.

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Dong Yaoqiong filmt sich selbst per Handy, als sie mit schwarzer Tinte das Porträt von Chinas Präsident Xi Jinping verunstaltet. Im gelben T-Shirt mit der Aufschrift "New York" kommentiert die junge Frau ihre Aktion im Schanghaier Finanzbezirk Lu Jiazui. "Heute ist der 4. Juli. Es ist 6.40 Uhr morgens. Die Leute gehen zur Arbeit." Sie leide unter "mentaler Unterdrückung" und verlange nach einer internationalen Untersuchung – ein von ihr nicht weiter erklärter Hinweis auf eine frühere medizinische Zwangsbehandlung.

Doch die eigentliche Repression übe die Kommunistische Partei durch ihre "Tyrannei" aus, ruft sie in die Kamera. Dann geht die 29-Jährige, die für eine Immobilienfirma arbeitet, zu einer Propaganda-Plakatwand. Aus einem mitgebrachten Plastikbehälter schüttet sie Tinte auf das Gesicht von Xi. "Ich widersetze mich Xi Jinping und seiner Diktatur." Sie warte darauf, dass er "mich abholen lässt".

Ihr zwei Minuten dauerndes Polithappening postet die Aktivistin per Twitter als @feefeefly. Schnell breitet sich im Netz ein Spitzname für sie aus: "Pomo Nühai" – das Tintenmädchen.

中国最大反对党李洪宽

Noch am gleichen Nachmittag wird Dong von Polizisten aus ihrer Wohnung abgeholt. Sie filmt sie im Livestream durch das Guckloch ihrer Tür, bevor die Beamten sich Zutritt verschaffen und ihren Internetzugang und Twitteraccount kappen. Die Verbreitung der Videos aber können sie nicht stoppen. Tausende teilen sie sich über den chinesischen Kurznachrichtendienst WeChat. Sie fragen nicht nur, was mit Dong passiert ist. Überall stellen Copycats beschmierte Fotos von Xi ins Netz. Einer schreibt dazu: "Aus Solidarität mit Dong." Niemand vermag mit Bestimmtheit zu sagen, ob diese Aufnahmen real sind oder in Photoshop fabriziert.

In die Online-Suche nach dem Verbleib des Tintenmädchen Dong schaltet sich auch der Pekinger Künstleraktivist Hua Yong ein. Er macht Dongs Vater Dong Jianbao in dessen Heimat Hunan ausfindig. Beide appellieren im Internet an die Öffentlichkeit und werden kurz darauf ebenfalls festgenommen. Radio Free Asia (RFA) meldet am Montag, dass die Behörden so nervös seien, dass mehrere Provinzbehörden vorsorglich öffentliche Fotos von Xi abhängen ließen, um Nachahmungstätern keine Gelegenheit für Protestaktionen zu geben.

Personenkult eindämmen

Die öffentliche Schmähung Xis ist nicht nur eine Herabsetzung seiner bisher unangefochtenen Autorität. Sie komme ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo Chinas Partei-, Staats und Armeechef in einer Person selbst dabei sei, den überbordenden Verehrungsrummel um ihn einschränken zu lassen, meldet die chinesischsprachige Webseite "Duowei-Nachrichten", der enge Verbindung zur Partei nachgesagt wird. Der Personenkult um ihn sei auf die Spitze getrieben worden, nachdem Xi sich zum "Kern der Partei" ausrufen ließ, das "Xi Jinping-Denken" als Staatsideologie in den Parteistatuten und in die Staatsverfassung verankert wurde und er sich die Option sicherte, auf Lebenszeit regieren zu dürfen.

Nun lässt die Parteiführung groteske Übertreibungen reduzieren. Am 9. Juli erschien die "Volkszeitung", das Sprachrohr der KP Chinas, erstmals seit Jahren ohne Fotos von Xi oder Überschriften mit seinem Namen auf der Titelseite, auch wenn er weiterhin allgegenwärtig ist. Das wiederholte sich seither in zwei weiteren Ausgaben des Parteiblatts. Auch Buchhändler und Geschäfte, wo noch bis Ende der ersten Juli-Woche Propagandabilder von Xi hingen, bestätigten, dass sie diese auf Anweisung der Behörden abnehmen mussten. Das taten sie allerdings nicht aus Furcht vor Farbattentaten, sondern in Befolgung einer von oben angeordnete Maßnahme gegen den Personenkult.

"Zufälliger Protestakt"

Der Pekinger Historiker und unabhängige Politikforscher Zhang Lifan glaubt, dass die Aktion der Tintenwerferin Dong ein zufälliger Protestakt aus persönlichen Gründen gewesen sei. Dafür sprechen auch Online-Meldungen, wonach Dong, ihr Vater und der Künstler Hua Yong seit Anfang dieser Woche wieder nach Hause entlassen sein sollen. Sie stünden dort aber noch unter Aufsicht. Die Behörden sollen sie freigelassen haben, nachdem sie sich vergewisserten, dass die drei keine organisierten politischen Beweggründe hatten.

Doch ihre Aktionen forderten die Autoritäten heraus, sagt Zhang. Auch Einzelfälle könnten zum Funken in der explosiven Stimmung allgemeinen Missmuts werden, wie die vielen Fälle von Copycats zeigten. Sie gewännen derzeit eine besondere Brisanz vor dem Hintergrund der äußeren Probleme der Führung Chinas mit dem US-Handelskrieg und im Umgang mit der gärenden politischen und sozialen Unzufriedenheit an der Basis.

Repressionen gehen weiter

Im Internet schwirren die Gerüchte und Spekulationen. Peking machte klar, dass weniger Personenkult nicht unbedingt eine liberalere Politik bedeute. Die Repression gegen Oppositionelle nahm seither noch zu, wie das brutale Urteil von 13 Jahren Haft gegen den Bürgerrechtler Qin Yongmin am vergangenen Mittwoch zeigte. Das war einen Tag nach der Entlassung von Liu Xia, der Witwe des verstorbenen Nobelpreisträger Liu Xiaobo, nach Deutschland.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wer die Macht in den Händen hält, scheint Xi den Abbau des Personenkults wieder aufhalten zu wollen. Am Dienstag drehten sich die ersten acht Nachrichtenbeiträge im halbstündigen allmorgendlichen CNR-Staatsrundfunk nur um Xi und seine Politik. Die Volkszeitung zeigte ihn mit drei Fotos auf ihrer ersten Seite. In den Mittagsnachrichten des Staatsfernsehen war die Herausgabe einer neuen Aufsatzsammlung von Xi über Chinas Reformen "Breaking News". (Johnny Erling aus Peking, 18.7.2018)