Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Mittwoch anlässlich der Eröffnung der Bregenzer Festspiele in Bregenz.

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Eines kann man Alexander Van der Bellen nicht vorwerfen: dass er dieser Regierung keine Chance gegeben hätte. Er hat Freiheitliche zu Ministern gemacht, obwohl ihm ein beträchtlicher Teil seiner Wähler die Stimme gab, um genau das zu verhindern. Er hat einen Koalitionspakt akzeptiert, der über weite Strecken seinen Vorstellungen diametral entgegengesetzt ist. Er hat sich damit abgefunden, dass Türkis-Blau auch die Institutionen der Republik Schritt für Schritt umbaut und Burschenschafter in Spitzenpositionen, allen voran beim Verfassungsgerichtshof, gehievt werden.

Für all das musste sich der frühere Grünen-Chef viel Kritik anhören. Letztlich blieb ihm aber nichts anderes übrig. Als Bundespräsident muss er die neuen Mehrheiten respektieren. Die – theoretisch weitreichenden – Möglichkeiten, die mit dem Amt verbunden sind, enden in der Realpolitik oft an der Eingangstür zur Hofburg.

Jetzt ist bei Van der Bellen aber der Punkt erreicht, an dem er nicht einfach weiter zuschauen will. Und damit hat er recht. Verbalrüpel Harald Vilimsky konstatiert aus der Ferne Alkoholprobleme bei Jean-Claude Juncker, macht sich über den zum "Onlinehit gewordenen Auftritt eines torkelnden und von mehreren Staatschefs gestützten EU-Kommissionspräsidenten" lustig und fordert im Tagesrhythmus dessen Rücktritt.

Nun kann man natürlich darüber diskutieren, ob ein Spitzenpolitiker, der so angeschlagen wirkt, bei einem Nato-Gipfel auftreten soll (er sollte es nicht). Darum geht es dem blauen Generalsekretär aber nicht. Er will sich nur über Juncker lustig machen, ihn in den sozialen Medien dem Gespött aussetzen.

Intolerable Wortwahl

Vilimskys Wortwahl ist unerträglich und intolerabel. Van der Bellen kritisiert berechtigterweise, dass niemand in der Regierung auf diese "unflätige Art" reagiert. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz darf sich nicht jede Entgleisung des Koalitionspartners gefallen lassen. Es ist kein Zeichen von Gelassenheit, in diesem Fall zu schweigen, sondern von Schwäche.

Der Bundespräsident hat aber auch recht, auf andere bedenkliche Entwicklungen hinzuweisen, die nicht von der zweiten oder dritten FPÖ-Reihe ausgehen, sondern von der Regierungsspitze. Wenn mittlerweile offen darüber diskutiert wird, das Asylrecht auf dem europäischen Festland abzuschaffen, mag das gut am Stammtisch ankommen, ist aber eines reichen und privilegierten Landes wie Österreich unwürdig.

Grenze des Akzeptablen

Es sagt viel über die moralische Verfasstheit eines politischen Systems aus, wenn die Staatsspitze darauf hinweisen muss, man möge doch bitte Menschen, die im Mittelmeer Kinder vor dem Ertrinken retten, nicht vor Gericht stellen. So etwas sollte das Selbstverständlichste der Welt sein. Ist es aber im Jahr 2018 nicht mehr.

Selbstverständlich sollte es auch sein, bei heiklen Materien wie dem Zwölfstundentag eine öffentliche Begutachtung durchzuführen. Wenn Van der Bellen auf solche Defizite hinweist, hat das also nichts mit Einseitigkeit oder fehlender Überparteilichkeit zu tun, wie die Freiheitlichen nun lamentieren.

Der Bundespräsident zeigt vielmehr auf, wann die Grenze des Akzeptablen erreicht ist. Politiker wie Harald Vilimsky wird er damit wahrscheinlich nicht ändern. Es geht aber um ein Signal, dass unterirdisches Niveau nicht zur Normalität werden darf. (Günther Oswald, 18.7.2018)