Schmuckstück mit komplizierter Geschichte: Der Diamantstern von Kaiserin Sisi verschwand, tauchte vermeintlich wieder auf, befand sich aber in Wahrheit im fernen Kanada.

Foto: picturdesk/Techt

Am 21. Juli 1998 wurde auf der Titelseite der "Kronen Zeitung" die Frage gestellt: "Wer hat Sisis Stern gestohlen?" Daneben abgebildet: Kaiserin Elisabeth auf dem Gemälde von Franz Xaver Winterhalter aus 1865. Sisi auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit. Im Tüllkleid und mit nackten Schultern lächelt sie den Betrachter an. Im Haar stecken Diamantsterne, die vom Wiener Juwelier Köchert gefertigt worden waren.

Im Blattinneren dann wurde der Leser erst einmal beruhigt. "Wir haben Sisis Stern wieder", beginnt die Geschichte etwas verwirrend. Denn die Leser waren nicht darüber informiert worden, dass der Stern weg gewesen war. Der damalige Schönbrunn-Direktor Wolfgang Kippes erklärte in dem Artikel, dass das Schmuckstück während der Ausstellung "Elisabeth. Schönheit für die Ewigkeit" zwar gestohlen worden war, der Stern aber bereits zurückgekehrt sei.

Der Autor, der bekannte "Kronen Zeitung"-Journalist Erwin Melchart, berichtete, man sei natürlich geschockt gewesen, als man draufkam, dass das Schmuckstück verschwunden war. Und dass eine billige Imitation in der Ausstellungsvitrine lag. Ein kaltblütiger Dieb hatte den Stern vertauscht.

Diese Tat war zuerst einmal gar nicht aufgefallen, hieß es weiter. Aber Problem sowieso gelöst! Die Kriminalpolizei habe mit Antiquitätenhändlern Kontakt aufgenommen. Und prompt sei der Diamantstern bei einem Händler aufgetaucht.

Präsentation eines Fake-Sterns

An dem "Kronen Zeitung"-Artikel stimmte das Wichtigste nicht. Der Stern war keinesfalls aufgetaucht. Doch wollte man mit der Aussage, das Schmuckstück sei bereits wieder zurück, den Dieb in Sicherheit wiegen, erklärte Schlossdirektor Kippes Jahre später. Denn dann, so dachte man sich, würde der Dieb das Schmuckstück verkaufen wollen. Die Polizei hatte die Antiquitätenhändler Wiens bereits vorgewarnt.

Diese Rechnung ging nicht auf, der Stern blieb verschwunden. Die Ausstellung über Kaiserin Elisabeth, deren Ermordung sich 1998 zum 100. Mal jährte, wurde nach diesem Zeitungsartikel weitergeführt, wie wenn nichts geschehen wäre. Da offiziell das Schmuckstück schon wieder da war, wurde der Fake-Stern weiterhin in der Vitrine im ehemaligen Frühstückszimmer der Kaiserin präsentiert. Und die Besucher bewunderten – wie vorher auch – ein unechtes Schmuckstück.

Die Sache geriet in Vergessenheit. In Österreich interessierte das kaiserliche Stück niemanden. Wie auch, der Stern war offiziell ja schon wieder da. Und für die wenigen Eingeweihten war die Sache erledigt. Die Bundesländer-Versicherung hatte die Ausstellung mit einer Gesamtsumme von 1.960.214,53 Schilling versichert. Dabei machte der Brillantstern den Wert von 100.000 Schilling, Euro 7.267,28, aus. Nachdem die Polizei in diesem Sommer 1998 nicht abschließend klären konnte, wie der Vorgang des Diebstahls vor sich gegangen war, wurden die Schlossgesellschaft beziehungsweise die Leihgeberin entschädigt.

Erst fast zehn Jahre später kam Licht in diese Räubergeschichte.

Kanadischer "Meisterdieb"

Im Frühjahr 2007 wurde ein erfolgreicher kanadischer Ganove, der die dortige Polizei viele Jahre an der Nase herumgeführt und unzählige Geldautomaten entleert hatte, nach einer aufwendigen Fahndung verhaftet. Sehr bald nach seiner Überführung wurde Gerald Daniel Blanchard von den kanadischen Medien als "Meisterdieb" bezeichnet. Dafür ausschlaggebend war, dass er nicht nur technisch spektakuläre Banküberfälle auf dem Kerbholz hatte. Vor allem eine Tat, die nicht in sein Beuteschema passte, faszinierte die Medien.

Im Keller des Hauses seiner Großmutter verwahre er ein altes Schmuckstück, das einer Kaiserin aus dem fernen Europa gehört habe, erzählte Blanchard. Die Erklärung, die er den kanadischen Behörden dazu auftischte, klang abenteuerlich: Im Sommer 1998 war der Kanadier auf Urlaubsreise durch Europa gewesen und hatte auch in Wien haltgemacht. Dabei besuchte er eine Ausstellung in Schloss Schönbrunn. Dort fiel ihm der kaiserliche Diamantstern auf. Sofort habe er gewusst: Dieses Schmuckstück wolle er haben. Diesen Stern zu stehlen sei eine tolle Herausforderung.

Allein im Schloss

Den Rest seines Wien-Aufenthaltes widmete Blanchard ganz der Erfüllung dieses Wunsches. Er kaufte einen unechten Diamantstern, der dem Sisi-Schmuck ähnelte. In vielen Souvenirgeschäften waren solche Nachahmungen zu erwerben. Bei einem weiteren Schlossbesuch schaffte er es, dass er in dem Raum, in dem der Stern präsentiert wurde, kurz allein war. Sofort lockerte er die Schrauben an der Vitrine. Er öffnete das Fenster und lehnte es leicht an. Parallel dazu engagierte er einen Hubschrauberpiloten. Dieser erklärte sich bereit, einen Nachtflug über Wien zu absolvieren. Über dem Schloss wollte Blanchard mit einem Fallschirm abspringen.

Dieses doch sehr aberwitzige Unterfangen wurde laut Blanchard in den nächsten Tagen durchgezogen.

In einer lauen Sommernacht des Juli 1998 sprang Blanchard, der wegen seiner Arbeit als Bankräuber schlank und durchtrainiert sein musste und auch über eine Fallschirmspringerausbildung verfügte, über Schönbrunn ab. Über das davor nur angelehnte Fenster stieg er ein, öffnete die Vitrine, nahm das Schmuckstück an sich, legte die billige Attrappe auf das kleine Samtpodest, rückte die Glasscheiben zurecht, fixierte die Schrauben und seilte sich über das Fenster in die Dunkelheit der Nacht ab.

Wenige Tage danach flog Blanchard zurück in seine Heimat. Im Gepäck hatte er ein Schmuckstück von Kaiserin Elisabeth.

Intrigant und kreativ

Soweit die Geschichte Blanchards, die er 2007 nach seiner Festnahme erzählte. Der amerikanische Journalist Joshuah Bearman schrieb 2010 im Monatsmagazin "Wired" einen Artikel über den Ganoven. Und die US-Journalistin Jennifer Bowers Bahney verfasste 2015 ein Buch über ihn und den Stern. Seither ist bei jeder Aufzählung in Zeitungen oder im Fernsehen über die gewitztesten Diebe der Welt Gerald Blanchard ganz vorn mit dabei.

Bald nach der Festnahme meldeten sich die kanadischen Behörden bei den Wienern. Die für den Fall zuständige kanadische Staatsanwältin Sheila Leinburd brachte im Sommer 2008 den Stern höchstpersönlich zurück. In Empfang genommen wurde er von Uniqa-Vorstand Johannes Hajek (die Bundesländer-Versicherung war in der Zwischenzeit zur Uniqa geworden).

Zu einer Anklage Blanchards, den Staatsanwältin Leinburd als "durchtrieben, gerissen, intrigant und kreativ" bezeichnete, kam es in dieser Sache nie. Für die Kanadier war der Stern die geringste Sorge, die sie im Zusammenhang mit dem Dieb hatten. Und die Wiener waren erfreut, dass der Schmuck nach zehn Jahren wieder da war. (Johanna Ruzicka, Album, 23.7.2018)