Die Pflegebranche ist stark von Frauen dominiert, viele arbeiten nur Teilzeit.

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Wien – Es ist nicht lange her, dass heimische Pflegekräfte auf die Barrikaden gingen. Bessere Rahmenbedingungen und höhere Gehälter forderten sie im Februar. Wieder einmal. Erst nach sechs Verhandlungsrunden kam man mit den Arbeitgebern – in der Hauptsache die großen Sozial vereine Volkshilfe, Hilfswerk, Lebenshilfe und Pro Mente – auf einen grünen Zweig.

Fürs Erste ist diese eine Baustelle beseitigt. Die Probleme sind damit nicht gelöst. Das Land Salzburg schlug dieser Tage Alarm, man könne den Bedarf an Hauskrankenpflege nicht mehr decken. Es fehlen die Pflegekräfte. "Der Pflegeberuf hat momentan ein Imageproblem, das müssen wir dringend gemeinsam lösen", sagt der Salzburger Soziallandesrat Heinrich Schellhorn (Grüne). Ein Hebel sei das Gehalt.

Thema für Sonntagsreden

Schellhorn sagt damit nichts Neues. Geht es um die Saläre in der Branche, gibt es kaum jemand, der findet, dass sie adäquat sind. Unabhängig davon, ob man Beschäftigte, Wissenschafter, Gewerkschafter oder auch so manche Anbieter entsprechender Dienste fragt. Letztere tun sich leicht, sie spielen den Ball an die Politik weiter. Die gesellschaft liche Frage, "wie wir den Bereich finanziell ausstatten", sei berechtigt, sagte etwa Walter Marschitz, Geschäftsführer der SWÖ (Sozialwirtschaft Österreich) rund um die KV-Verhandlungen der Sozialvereine. Der oberösterreichische AK-Präsident Johann Kalliauer spricht aus, was viele in der Branche denken: "Die Bedeutung der Pflege ist halt in erster Linie ein wichtiges Thema in politischen Sonntagsreden."

Zersplitterte Branche

Doch ist es um die Bezahlung wirklich so schlecht bestellt? Ganz einfach ist die Frage nicht zu beantworten. Denn wie viele Menschen in der Pflege älterer Menschen beschäftigt sind, weiß man nicht, sagt Ulrike Famira-Mühlberger vom Wirtschafts forschungsinstitut. Erst seit Juli dieses Jahres trägt man diesem Umstand mit der Registrierung der Gesundheitsberufe Rechnung. Der Nebel sollte sich 2018 lichten. Derzeit ist man auf Interpretationen und Schätzungen angewiesen.

Der Blick auf den Einkommensbericht der Statistik Austria zeigt zumindest, dass Kalliauer hinsichtlich der Durchschnittsgehälter im Branchenvergleich nicht unrecht hat. Die Finanzbranche zahlt in dieser Betrachtung doppelt so gut wie Arbeitgeber im Gesundheits- und Sozialwesen, Produktionsbetriebe gut und gerne 50 Prozent mehr. Der genauere Blick zeigt: Die Bandbreite ist groß – und so bunt wie die Branche selbst. Nicht einmal die großen Wohlfahrtsträger haben einen gemeinsamen KV. Rund 1700 Euro netto verdienen diplomierte Pflegekräfte bei einem Vollzeitjob nach dreijähriger Ausbildung bei den großen Sozialvereinen. Pflegeassistenten steigen nach zweijähriger Ausbildung mit gut 1500 netto ein. Für Pflegekräfte im Landesdienst sieht es je nach Bundesland etwas besser aus. Im Spitalsbereich sind für Pflegeassistenten mit diversen Zulagen 3000 Euro keine Utopie. Davon sind andere sehr weit entfernt.

Viele Quereinsteiger

AK-Mann Kalliauer weist auf die Einkommensdaten einer besonders schlechtbezahlten Gruppe hin: der rund 40.000 nicht akademischen sozialpflegerischen Fachkräfte, die 2018 hochgerechnet knapp 1300 netto im Monat verdienen werden. Für nichtakademische Kräfte – vor allem im Hauskrankenpflegebereich – sieht es düster aus.

Die Krux: Viele sind Quereinsteiger, zum Beispiel Frauen, die, wenn die Kinder flügge werden, wieder arbeiten gehen. Die in der mobilen Heimhilfe auf Vor- und Nachmittag geteilten Dienste machen die Jobs allerdings vor allem für Mütter mit Kleinkindern oft schwierig. Für die meisten Beschäftigten sind 40 Stunden an gesichts der herausfordernden Arbeit aber ohnehin keine Option. Der Teilzeitanteil ist mit geschätzten 60 bis 70 Prozent hoch. Das ist zumindest einer der Gründe, warum es um die Bezahlung insgesamt nicht besser bestellt ist.

Hilfe-Syndrom

Ein weiterer Mosaikstein: "Man kokettiert mit unserem Hilfe-Syndrom", sagt eine Betroffene, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Frauen fielen Gehaltsverhandlungen schwer – besonders im Sozialbereich. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass sich die Beschäftigten der Branche besonders mit ihrem Beruf identifizieren – und unter den Belastungen leiden. Auf die Barrikaden gehen sie, anders etwa als die Ärzte, kaum.

Ein weiterer Baustein in der Erklärung, warum Österreich es sich leisten kann, mit 1,2 Prozent des BIP vergleichsweise wenig für Langzeitpflege auszugeben. In den Niederlanden sind das 3,7, in Schweden 3,2 Prozent. Was die EU-Staaten betrifft, liegt Österreich im Mittelfeld. Vor allem in den süd- und osteuropäischen Ländern sind die Ausgaben noch sehr viel niedriger, in Ungarn und Estland liegen sie zum Beispiel bei 0,2 Prozent des BIP. Auch diese Daten seien mit Vorsicht zu genießen, sagt August Österle vom Institut für Sozialpolitik an der WU Wien. Er beschäftigt sich schon lange mit dem internationalen Vergleich von Pflege- und Gesundheitssystemen und konstatiert, dass unter dem Kapitel Pflegeausgaben nicht überall das Gleiche verbucht wird. Sicher sei aber: Im Westeuropa-Vergleich befindet sich Österreich am unteren Ende.

Bauen auf Familienhilfe

Warum Pflege in Österreich vergleichsweise niedrig dotiert sei, "hat auch mit der gesellschaftlichen Einstellung zu tun, ob es sich um eine familiäre oder eine öffentliche Aufgabe handelt". In nördlichen Ländern sei man da anderer Ansicht (und stellt auch die Finanzierung auf andere Beine) als in südlichen und östlichen. In Nordeuropa wurde die öffentliche Unterstützung von Pflege ab den 1950er-Jahren systematisch ausgebaut. Andere Länder wie auch Österreich begannen damit in den 1990ern. Familiäre Aufgaben sind nach wie vor gerne Frauensache, meint Österles WU-Kollegin Karin Sardadvar. "Es handelt sich teilweise um Arbeit, die traditionell auch vielfach unbezahlt und von Frauen gemacht worden ist und wird – in solchen Bereichen mangelt es oft an Wertschätzung der Arbeit und der Bereitschaft zur entsprechenden Bezahlung." (Regina Bruckner, 21.7.2018)