Andrew Foster-Williams (Escamillo) und Gaëlle Arquez (Carmen).

Foto: APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Als Abwechslung zum Vorjahr steht beim Bregenzer Oberspielleiter, dem Wetter, heuer am Premierenabend kein Gewitterdrama und auch keine Regentragödie auf dem Spielplan, sondern ein seit Menschengedenken beliebtes Rührstück: der 1a-Sonnenuntergang. Erstaunlich, wie viele Nuancen von Hellblau es doch gibt und wie malerisch sich diese mit Zartrosa mischen; Blasslila und Orangetöne passen auch erstaunlich gut dazu.

Im Gegensatz zu der ihr übergeordneten Instanz setzt Intendantin Elisabeth Sobotka auf dem See eine Wiederaufnahme der Musiktragödie von 2017 an, Bizets Carmen. Und so raucht sie also wieder, die meterlange Zigarette in den Riesenhänden von Es Devlin, die das Bühnenbild mit den fliegenden Spielkarten ersonnen hat. Wie im letzten Jahr werden auf diesem diverse Berg-, Wasser- und Kampfsportarten betrieben.

Einmal verwandelt sich die Kartenlandschaft sogar in die Niagara-Fälle, trotz Wassermangels in Vorarlberg – aber am See kann man sich das ja leisten. Ist das neu, oder ist es 2017 nicht aufgefallen, da es so geschüttet hat? Auch die Spielkarten scheinen sich dank der Videoprojektionen häufiger zu drehen als in der letzten Saison. Großflächige Bebilderungen gibt es leider nicht, und an Requisiten wird nach wie vor gespart. Man kann nicht alles haben.

Wie klangschön und persönlich!

Gaëlle Arquez trägt ihre Jeanshose im ersten Akt (Kostüme: Anja Vang Kragh) nicht mehr an einem Bein aufgekrempelt, singt aber so wie letztes Jahr: klangschön, mit wenig persönlicher Note, gern etwas gemächlich. Antonino Fogliani lässt die Französin gewähren und gibt den Wiener Symphonikern danach wieder die Sporen.

Ein alter Bekannter ertränkt die passionierte Taucherin Arquez zu Füßen der 7000 Operngäste: Daniel Johansson gibt wieder den Premieren-Don-José, hellstimmig und solide wie ein Geländewagen, auch in großer Höhe und auf längeren Atemstrecken. (Die Besetzungen wechseln übrigens: Für die 29 Aufführungen gibt es in Bregenz drei Carmens und drei Don Josés.) Brunnenschachtdüster ist der Bariton von Kostas Smoriginas (als Escamillo) gefärbt, weich wie eine Daunendecke der Sopran von Cristina Pasaroiu als Unschuldslamm Micaëla.

Trotz ihrer fallweise unrunden Phrasenenden erntet die blonde Sympathieträgerin reichlich Begeisterung. Pointiert Léonie Renaud und Marion Lebègue als Frasquita und Mércèdes. Fein, wie nuanciert und leise der Männerchor eröffnet – aber die Verstärkung ist ja auch laut genug aufgedreht.

Wie romantisch die Boote!

Zum Glück, denn manche Gäste unterhalten sich während der Vorstellung weiter, wenn sie nicht gerade emsig das Bühnengeschehen fotografieren und die Bilder gleich der schönen neuen Netzwerkwelt zuteilwerden lassen. Schatz, wie romantisch diese Boote sind, die im Dunkel zum Bregenzer Hafen fahren! Ach, und schau, die Lichter da ganz links, das ist Lindau!

Wie immer wird die Seeproduktion auch in diesem Sommer als große Ansaugmaschine funktionieren, als Magnet, der massenhaft Zuschauer und mit ihnen auch Geld anzieht. Wenn alles gut geht, werden Kasper Holtens Inszenierung am 20. August rund 400.000 Gäste gesehen haben, und ein kleiner Teil davon wird sich auch für das restliche Festspielprogramm interessieren: für die von Karl Markovics inszenierte Uraufführung von Thomas Larchers Oper Das Jagdgewehr oder Paulus Hochgatterers Vergangenheitsannäherung Böhm mit Nikolaus Habjan.

Die Zuschaueransaugmaschinen für die nächsten vier Jahre stehen übrigens schon fest: 2019/20 folgt Verdis Rigoletto, inszeniert von Philipp Stölzl, 2021/22 dann Puccinis Madama Butterfly, in Szene gesetzt von Andreas Homoki. Die Vorhersage: Es wird wohl berührend werden, sicher spektakulär und hochprofessionell, dramatisch und tragisch auf jeden Fall. Vom Wetter abgesehen, hoffentlich. (Stefan Ender, 20.7.2018)