Bild nicht mehr verfügbar.

Das schöne Leben von Bloggerinnen: Klingt echt, sieht aber nach Plastik-Fantastik aus.

Foto: Getty Images

Das Internet kann ein gefährlicher Ort sein. Wer online nach Ideen für Hörbücher, die besten Stilleinlagen oder nach Antworten auf große Fragen – "Wie sieht ein Zeckenbiss aus?"– sucht, riskiert, sich plötzlich mitten im perfekten Leben einer Bloggerin wiederzufinden. Dort sitzen herzig gekleidete Kinder auf weißen Couchen, die Mutter verrät ihre "Top fünf Sommerhörbücher" und gleich auch das Rezept für Kokoswassereis, das die verwendeten frischen Früchte leuchtend durchschimmern lässt. Und ein paar Klicks weiter finden sich auch schon die selbstgenähten Stilleinlagen in naturfarbener waschbarer Baumwolle – der Umwelt wegen.

Beim Durchklicken stellt sich dasselbe Gefühl ein, das sich früher beim Durchblättern von Frauenmagazinen breitmachte. Die Handlungsanleitungen zu einem fitteren, erfolgreicheren, sexyeren und paradoxerweise auch selbstbestimmteren Leben senken die eigene Stimmung. Nachweislich.

Ein Medienexperiment zeigte schon vor zehn Jahren auf, dass Frauen, die solche Magazine lesen, danach deutlich schlechtere Stimmung hatten als jene Frauen, die populärwissenschaftliche Zeitschriften gelesen hatten.

Die Industrie für den Unzufriedenheitsgarant, die Frauen erst Mängel aufzeigt, um auf der nächsten Seite die vermeintliche Lösung feilzubieten, hat seit dem Aufkommen der sozialen Medien ungeheure Verstärkung aus dem gemeinen Volk bekommen. Frauen aus dem "echten Leben" nehmen uns via Blogs mit auf eine Tour durch perfekte Frauenleben und zeigen uns, wie gut sie es draufhaben und vor allem, wie toll sie selbst, ihre Wohnungen oder ihre Kinder dabei aussehen.

Digitale Lebensentwürfe in Retro

Laut Erhebungen der Bloggerplattform blogheim.at wächst die Zahl dieser Blogs stetig. Im Mai 2017 wurden dort aus Österreich noch 1508 Blogs gemeldet, ein Jahr später 2124. Die Blogs werden zum größeren Teil von Frauen betrieben: 39 Prozent der Bloggerinnen sind Frauen, nur 18 Prozent Männer melden ihren Blog bei der Bloggerplattform. Nach Reisen und "Food" gehören Blogs über Lifestyle, Fashion und Beauty zu den beliebtesten Themen. Mit Politik befassen sich nur 62 Blogs.

Doch so klar ist das alles nicht auseinanderzuhalten, vor allem, wenn Frauen über ihr Leben schreiben. Das Private ist bekanntlich politisch. Ob sie es wollen oder nicht, Bloggerinnen arbeiten an Rollenbildern mit, die oft nur eine klare Botschaft vermitteln: Frauen befassen sich hauptsächlich mit Konsumgütern – für sie selbst und später auch für ihren Nachwuchs. Der Weg vom Fashionblog zum Mami-Blog ist kurz. Geld dafür gibt es durch Werbebanner, Links ober bezahlte Blogeinträge. Wie viel das bringt, kommt auf die Menge der Gefolgschaft an. Die Spanne reicht vom erweiterten Bekanntenkreis bis zu hunderttausenden Besuchen pro Monat, der Unterschied liegt im Bereich eines guten Monatsgehalts.

Thematisiert wird Geld in diesen Blogs freilich nie. Die Wohnungen, die Möbel, alles, was die Bloggerinnen tragen und verwenden, ist nicht Ware, sondern Teil eines makellosen Lebens. Neben den Bücherregalen der Bloggerinnen wirkt das eigene wie eine schrottige, an die Wand geschraubte Wühlkiste. Bei ihr harmoniert alles: das Regal, der Armreif an der Hand, die nach der Lektüre greift, der kuschelige Pulli. Das alles ist weit mehr als ein Lesetipp. Es ist eine Kulisse für Perfektion, ebenso der Blick in die Ferne auf einer Reise durch Südostasien, die im bequemen, aber um Himmels willen nicht unstylischen Gewand unternommen wird.

Diese neueren Aufforderungen zur Arbeit am weiblichen Selbst gehen deutlich tiefer als die herkömmlicher Frauenmagazine oder Werbungen. Sie beschränken sich nicht auf mögliche Kaufentscheidungen. Unendlichen Verbesserungsbedarf gibt es auch im Inneren. Lebenshilfe boten zwar auch die Magazine, dort war allerdings die professionelle Inszenierung drumherum erkennbar. In Blogs exerzieren uns Frauen ihr persönliches Leben und somit Machbarkeit vor. Das Motto lautet: "Seht her, geht doch!" Durch Lese- und Musiklisten, Reisen, Fortbildungen, Einrichtung, Ernährung oder Elternschaft verschmelzen diese gebloggten Frauenleben zu einem aufwendigen Gesamtprodukt. Und dafür braucht es auch Begriffe wie "Selbstbestimmung" oder "Authentizität".

Selbst dafür gibt es Anleitungen: In der ersten Folge ihres Podcasts fragte die Wienerin Madeleine Alizadeh, die bis vor kurzem hauptsächlich mit ihrem Blog Daria Daria beschäftigt war und sich heute als "eine grüne" Lifestyle-Kolumnistin und Speakerin vorstellt, ob "BloggerInnen authentisch" sind. Freilich überlegte sie vor allem, wie man wohl "authentisch wirkt". Eine einigermaßen verräterische Episode über die Situation vieler Blogs zwischen dem locker-lässigen Teilen des eignen Lebens und der knallharten Schule der Selbstdarstellung, die aber lieber mit Selbstermächtigung assoziiert wird.

Porridge in Einmachgläsern

Leicht konsumierbare feministische Versatzstücke gehören also auch dazu. Vor allem in vielen Mama-Blogs ist es eine wichtige Währung, ohne Rücksicht auf drang salierende Mütterklischees Tacheles zu reden. Dort gibt etwa die "Riot-Mum" Tipps zum "Empowerment" im Umgang mit nervigen Ratschlägen, es wird gegen den "After-Baby-Body-Bullshit" gepoltert oder über die eigene Ungepflegtheit gewitzelt. Gerahmt wird das Ganze allerdings mit weichgezeichneten Fotos der Bloggerin inklusive ausgestelltem Kind. Es löffelt aus kleinen Einmachgläsern Porridge, die hochschwangere Bloggerin präsentiert sich im hippiesken lila Sommerkleid am Strand. Wieder daheim auf der Couch, bebildert sie ihre Gedanken über Mutterschaft und Feminismus im schlichten schwarzen Shirt mit der Aufschrift "Feminist" am Kragen.

Zeit für die Auswahl des angesagtesten Brillengestells und schicker Babyutensilien ist auch noch da. Geht quasi im Vorbeigehen und weil es anscheinend so viel Spaß macht. Weniger Spaß hat allerdings die hinter dem Laptop, die nicht gerade ihr Leben für andere pimpt. (Beate Hausbichler, 20.7.2018)