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Zufrieden sieht anders aus. Kim Jong-un inspiziert eine Fabrik.

Foto: REUTERS/KCNA

Machthaber Kim Jong-un redete sich bei seiner Inspektion des Wasserkraftwerks Orangchon Nummer 5 im Nordosten seines Landes in Rage, weil es noch immer keinen Strom liefert: Sein Großvater, Nordkoreas Staatengründer Kim Il-sung, habe schon vor mehr als 30 Jahren die Anweisung erteilt, das Kraftwerk zu bauen, zur Versorgung des Industriegebiets in der Provinz Nord Hamyong. Vor 17 Jahren, als sein Vater Kim Jong-il über Nordkorea herrschte, startete endlich das Projekt mit dem dazugehörenden Damm Phalyang. Enkel Kim regte sich nun auf, weil er bei seiner Visite entdeckte, dass das Kraftwerk erst zu 70 Prozent fertig ist, meldete die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA.

Der 35-jährige Kim macht natürlich weder seine Vorfahren noch die Diktatur für die Missstände in der zivilen Wirtschaft verantwortlich. Schuld tragen Funktionäre auf allen Ebenen, die sich die Zuständigkeiten mit "Wortspielereien" hin und her geschoben hatten, aber nie "praktische Maßnahmen" ergriffen. "Schlimmer noch. Die Verantwortlichen für die nationale Volkswirtschaft sind zwar immer mit von der Partie, wenn es um Eröffnungszeremonien für Projekte geht. Aber sie inspizierten niemals die Kraftwerke oder Dammanlagen, wenn sie noch im Bau sind." Warum, klagt Kim, habe ihm niemand früher einen Brief geschrieben, wie es um das Wasserkraftwerk Orangchon steht.

Korea spürt Sanktionen

Nach solchen, auch noch öffentlichen Standpauken, rollen in Nordkorea bekanntlich Köpfe. Das dürfte diesmal nicht anders sein. Doch Kim nutzt vorerst die Misere um das Kraftwerk als negatives Beispiel, um eine Kampagne zur Wiederbelebung der Volkswirtschaft loszutreten. Diese muss Kim nun mit allen Mitteln ankurbeln. Denn die 2017 verschärften internationalen Sanktionen, die auch von China unterstützt wurden, und eine Dürreperiode in der Landwirtschaft wirkten sich verheerend auf Nordkoreas Wirtschaftsleistung aus. Sie schrumpfte um 3,5 Prozent, ihre stärkste Kontraktion seit 20 Jahren, schrieb am Freitag Südkoreas Zentralbank (BOK) laut Yonhap. Nordkoreas Bruttonationaleinkommen (GNI) fiel 2017 auf 2,1 Prozent des GNI, das Südkorea erwirtschaftete. Im Pro-Kopf-Vergleich schneidet Südkorea 23-mal besser ab.

Hinzu kommt der generelle Notstand. Vergangene Woche hatte der für humanitäre Anliegen in der UN zuständige Mark Lowcock nach einem Besuch in Nordkorea geschildert, dass mehr als zehn der 25 Millionen Nordkoreaner weiter auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. 20 Prozent der Kinder litten gerade in abgelegenen ländlichen Gebieten an Unterernährung.

Diktator Kim hatte bei seinem Amtsantritt 2012 versprochen, neben der Aufrüstung Nordkoreas zum Atomwaffenstaat zugleich den Lebensstandard anzuheben. Die von ihm inszenierten 80 Raketenstarts und vier unterirdische Atombombentests ließen ihm weder Geld noch Zeit dafür.

Wirtschaftsentwicklung auf der Agenda

Seit sich Nordkorea zum Nu-klearstaat erklärte und Abrüstungsabkommen mit den USA und Südkorea abschloss, hat Kim die Wirtschaftsentwicklung auf seine Agenda gesetzt. Das ist der Hintergrund, dass am Dienstag alle Medien Nordkoreas einheitlich über seine Inspektionen von acht Unternehmen berichteten. Das Orangchon-Kraftwerk fällt darunter, wie auch ein Hersteller für Maschinen, eine Großwerft, eine Lederfabrik, die Schulranzen herstellt, eine Fischzucht, das Erholungsressort Onpho, ein Hotelbau am Meer und eine Gewächshaus-Gesellschaft.

Kim stellt die Hälfte der Einrichtungen an den Pranger oder kritisiert sie, weil sie den Verbrauchern schadende Produkte herstellen. Andere Unternehmen, wie die für die Kriegsmarine arbeitende Werft, die auf Lachsfang spezialisierte von der Armee betriebene Fischgesellschaft oder ökologische Gewächshäuser werden von ihm als Musterunternehmen gelobt. Dennoch ist es ein Novum für die Öffentlichkeit, der das Land von Nordkoreas Propaganda bisher meist als sozialistisches Paradies angepriesen wurde.

Neben der KCNA druckten auch Nordkoreas Tageszeitungen seitenlang Berichte über Kims Inspektionen, meldeten Südkoreas Zeitungen. Die Abendnachrichten im Staatsfernsehen hätten dem Thema und dem Zorn Kims auf die "verantwortungslosen" Funktionäre eine volle Stunde gewidmet. Er schimpft etwa über das Yombunjin-Touristenhotel, das schon sein Vater plante. Seit Juli 2011 würde daran gebaut. Nicht einmal seine Innenverkleidung sei fertig. Kim gefällt auch das Außendesign nicht. Die Hotelkapazitäten seien zu klein ausgelegt. Alles müsse überarbeitet werden.

Schmutzige Baderäume

Noch mehr ärgert ihn, was er in dem schon von seinem Großvater und Vater besuchten Ferienressort Onpho und dessen heißen Bädern vorfindet. Die zur Erholung des Volkes gedachten Baderäume seien "schmutzig, duster und unhygienisch". Kim kündigt an, dass er die Armee beim Neubau einsetzen will, wie auch beim Umbau anderer von ihm kritisierten Unternehmen. Es ist das erste Mal, dass er offiziell Nordkoreas elitäre und hochgerüstete Streitkräfte für zivile Wirtschaftsaufgaben einsetzen lässt, offenbar eine Dividende der jüngsten Entspannung.

Von einer Hinwendung zu Marktmechanismen für den Aufbau seines Landes ist bei Kim keine Rede. Er setzt auf die Hilfe der Armee, auf die alte sozialistische Kommandowirtschaft und gibt sogar die Daten vor. Das Wasserkraftwerk, das Hotel am Meer und andere Projekte müssen vor dem 10. Oktober 2019 betriebsfertig gebaut sein. Es ist der Nationalfeiertag für die an dem Tag 1945 gegründete Partei der Arbeit Nordkoreas. (Johnny Erling aus Peking, 21.7.2018)