Wien – Friseurin, Zahntechnikerin, Kfz-Mechaniker – die Berufsrichtungen, die die Jugendlichen und jungen Erwachsenen einschlagen wollen, sind höchst unterschiedlich. Sie sitzen alle um einen großen Tisch in den Räumlichkeiten von Interface, einer gemeinnützigen GmbH der Stadt Wien im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Hier haben sie in den vergangenen Monaten im Rahmen des Projektes Interspace gelernt, wie das mit dem Arbeitsplatz etwas wird. Denn in einem sind sich die versammelten jungen Menschen einig: Sie wollen eine Lehrstelle bekommen.
Brücke in die Praxis
Seit Jahresbeginn können in dem Projekt 15- bis 21-Jährige, die nach Wien zugewandert oder geflüchtet sind, ihre Deutschkenntnisse verbessern. Gefördert werden sie aber auch in Mathematik, Englisch und digitaler Bildung. Und das Wichtigste ist der Brückenschlag in die Praxis: Die Teilnehmer üben das Schreiben von Bewerbungen, sie werden bezüglich ihrer Stärken und Schwächen hinsichtlich möglicher Berufsbilder beraten und absolvieren Schnuppertage oder Praktika in kooperierenden Unternehmen.
Damit es zu diesen Praxiserfahrungen kommt, sei auch das Simulieren von Bewerbungsgesprächen ganz wichtig, sagt Susanne Pfeffer, die für das Projekt verantwortlich ist. "Wir spielen die spezifische Situation durch, geben Tipps zum Auftreten und zur Selbstpräsentation." Voraussetzung für das spezifische Betriebscoaching sind Deutschkenntnisse auf B1-Niveau und ein Pflichtschulabschluss.
Fragen stellen und beantworten
Das Vermittelte unter Beweis stellen konnten die jungen Menschen am Dienstag vor dem für Integration zuständigen Stadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ), der sich vor Ort ein Bild vom Fortschritt des Projektes machen wollte. "Mir geht es darum, dass junge Menschen schnell auf eigenen Beinen stehen können, sei es durch eine gute Bildung oder einen Job. Wir setzen alles daran, dass das in Wien gelingt."
Die Kursteilnehmer – sie kommen unter anderem aus Serbien, Syrien, Nigeria und dem Irak – freuen sich über den Besuch und halten sich mit Fragen nicht zurück: Ob er auch Bewerbungsgespräche absolviert hat, wollen sie unter anderem wissen. Mit vier Firmenvertretern können sie darüber hinaus Bewerbungsgespräche simulieren und sich Feedback holen.
Erste Absolventen mit Lehrstellen
"Am Anfang war ich sehr nervös, aber nach den ersten Minuten ging es dann", sagt Lila, die vor zwei Jahren von Serbien nach Wien gekommen ist. Sie möchte Zahntechnikerin werden.
Ihr Gegenüber ist Norbert Wallner, der viele Jahre als Unternehmer gearbeitet hat. Mit Lila ist er zufrieden: "Nervös muss man ja sein, sonst will man den Job nicht wirklich." Sie könne ruhig noch selbstbewusster auftreten. Und sie solle immer betonen, warum sie sich gerade bei dem Unternehmen XY bewirbt, gibt Wallner Tipps mit.
Eine Sache, die die Teilnehmer ebenfalls lernen mussten, ist der Umgang mit Enttäuschungen. "Die Jugendlichen haben sich für Stellen beworben und waren nach einer Absage sehr, sehr niedergeschlagen", sagt Pfeffer. Dieser Punkt wurde dann im Unterricht aufgegriffen. "Ich habe schon viele Bewerbungen geschrieben", sagt Lila. "Leider habe ich nur Absagen bekommen. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen und mache weiter", sagt sie und lächelt. Nächste Woche schnuppert sie bei einem Zahnarzt.
Von 30 Teilnehmern, die Interspace bereits absolviert haben, fanden fünf eine Lehrstelle, fünf gingen in eine weiterführende Schule und sechs wurden in eine weiterführende Bildungsmaßnahme vermittelt. Teilnehmer konnten auch Praktika absolvieren, und eine Teilnehmerin hat einen Arbeitsplatz gefunden.
Weniger Geld für Integration
Trotz des Erfolges ist die Fortsetzung des Projektes ungewiss. Für 2018 waren 2,2 Millionen Euro dafür vorgesehen, gefördert vom Europäischen Sozialfonds, dem Fonds Soziales Wien, durch den Wiener ArbeitnehmerInnen-Förderungsfonds (Waff), das AMS und durch Mittel des Bildungsministeriums. Ob die 15a-Vereinbarung für Erwachsenenbildung auch in Zukunft finanziert wird, steht laut Czernohorszky in der Schwebe.
Treffen würde eine Streichung der Mittel für Erwachsenenbildung auch ein anderes Projekt, in dem geflüchtete Lehrer – die meisten mit Hintergrund in Mint-Fächern – ein Zertifikat zum Unterrichten in Österreich erlangen können. Über den Erfolg von dem Projekt Core wurde international berichtet.
Frage der Pragmatik
Retten können habe man hingegen das Jugendcollege, ein Bildungsprojekt für nicht mehr schulpflichtige junge Menschen. Der Fortbestand war durch die Kürzung der AMS-Mittel gefährdet. Ein kompletter Wegfall des Geldgebers wurde vermieden, die vom AMS geförderten Plätze aber von 500 auf 250 reduziert. Insgesamt gibt es pro Jahr 750 Plätze, bis zu 4,8 Millionen Euro pro Jahr stehen zur Verfügung.
Wie gut dieses Projekt funktioniert, illustriert auch das Interesse der anderen Bundesländer: Im Juni haben alle neun Landesintegrationsreferenten beschlossen, dass der Bund die Bereitstellung von Jugendcolleges in ganz Österreich prüfen soll. "Die Förderung solcher Projekte ist keine parteipolitische Frage, sondern eine Frage von Pragmatik", sagt Czernohorszky. "Natürlich ist es Kalkül, dass die Bundesregierung versucht, Migration und Integration auseinanderzudividieren." (Lara Hagen, 25.7.2018)