Es brauchte ein Lebenswerk, um das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) darzustellen, sagt Gerhard Haderer. Kein Lebenswerk, aber ein Werk für ein Jahr widmet der Karikaturist dem Thema. Satte Bürger und Angst vor Sozialschmarotzern geistern durch seinen Kopf, wenn er an die Diskussion "voller Vorurteile" denkt. Genau weiß Haderer noch nicht, wie sein Kalender für 2019 aussehen wird. Die zwölf Bilder wird der Karikaturist für den Verein Generation Grundeinkommen zeichnen. Dieser will das BGE in Österreich Wirklichkeit werden lassen. Der Fahrplan: Ein Volksbegehren im nächsten Jahr, eine Volksabstimmung 2022 und dann ein BGE für jeden, der in Österreich wohnt – eine monatliche staatliche Überweisung ohne Gegenleistung, ausreichend hoch für ein würdiges Leben.

Bis dahin ist es noch weit. Vor wenigen Tagen hat die Initiative um Obmann Helmo Pape die erste Hürde in Angriff genommen. Seit kurzem sammelt der Verein Gelder, um seine Pläne verwirklichen zu können. Ziel sind 500.000 Euro. Werden bis Ende September weniger als 300.000 Euro eingesammelt, wird jeder Beitrag an den jeweiligen Unterstützer zurückgezahlt. Und dann?

Generation Grundeinkommen Österreich

"Im September planen wir einen Kongress, um mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst über das Thema nachzudenken", sagt Pape. Danach steht eine Roadtour durch alle österreichischen Städte mit mehr als 15.000 Einwohnern auf dem Programm. Ein großer Teil der Gelder soll in ein Forschungsprojekt fließen. Wissenschafter der Johannes-Kepler-Universität Linz hätten bereits zugesagt, eine umfangreiche Studie zum BGE durchzuführen und Finanzierungsmöglichkeiten zu berechnen.

Kein Abbau des Sozialstaats

Im Groben steht das Konzept: ein bedingungsloser Transfer in der Höhe von – nur als Hausnummer – 1000 Euro, bezugsberechtigt ist die Wohnbevölkerung in Österreich. Sozialleistungen werden mit dem Transfer gegengerechnet. Es gäbe keine Kürzungen von Sozialleistungen, nur deren Zusammensetzung würde sich ändern. Leistungen über das Grundeinkommen hinaus würden bleiben, darunter liegende würden bedingungslos. Bekommt jemand derzeit weniger als 1000 Euro, würde die Differenz bis zum Grundeinkommen aufgestockt. Wer vom Staat heute mehr bekommt, hätte am Ende gleich viel wie bisher.

Zugleich strebt der Verein an, den Sozialstaat stärker über eine Konsumsteuer zu finanzieren. "Erwerbsarbeit allein würde zur Finanzierung des Staates nicht mehr ausreichen", sagt Pape. Auch deshalb, weil die finanzielle Absicherung durch ein BGE dazu führen könnte, dass Menschen weniger arbeiten. Anders als eine progressive Einkommenssteuer, die hohe Gehälter höher belastet, würde eine Konsumsteuer alle in gleichem Ausmaß treffen. Arme und Reiche müssten den gleichen Steuersatz zahlen.

Pape prognostiziert, dass sich im Gefolge des BGEs die Gehälter angleichen würden. Unattraktive Jobs würden wohl nur gegen höheres Entgelt angenommen, attraktive Stellen könnte man zu geringeren Löhnen besetzen. Wie sich das Modell auf Preise, Gehälter, Arbeitsanreiz und Verteilung in Österreich auswirken wird, sollen Ökonomen der Uni Linz errechnen.

Eine Simulation der Industriestaatenorganisation OECD zeigt: Werden sämtliche Sozialleistungen (ohne Pensionen) in einen Topf geworfen und jedem Staatsbürger zu gleichen Anteilen ausgezahlt, würde das BGE in allen untersuchten Ländern weit unter der Armutsgrenze liegen. In Österreich würde es nur ein Fünftel des Lebensminimums ausmachen. Das sind für einen Einpersonenhaushalt aktuell 1185 Euro. Die Kosten eines höheren BGEs wären enorm. Auch könnten relative Preisveränderungen zuungunsten der Ärmeren ausfallen, warnt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Denn wenn ein Busfahrer ein höheres Gehalt verlangt, dann heißt dies letztlich auch, dass die Fahrpreise ansteigen", sagt der DIW-Chef, "viele Menschen mit geringerem Einkommen müssten mit weniger Wohlstand auskommen."

Experimente sagen wenig

Philippe van Parijs ist skeptisch. Nicht, weil er gegen ein BGE ist. Der Ökonom und Philosoph, der an der Universität Louvain lehrt, verficht schon lange ein BGE. Van Parijs ist skeptisch, was die Berechenbarkeit der Folgen eines nichtkonditionalen Transfers betrifft. Zu viele Unbekannte seien zu berücksichtigen: Wie verändert sich das Arbeitsangebot? Wie reagieren die Löhne? Wie verändern sich die Steuereinnahmen? Zieht eine bedingungslose Leistung Zuwanderer an? "Man müsste das BGE einfach einführen", sagt er: "Wie Bismarck das mit dem ersten Pensionssystem gemacht hat." Dann werde man sehen, was passiert. Experimente wie das in Finnland werden kaum Rückschlüsse zulassen. Seit Anfang 2017 erhalten dort 2000 Arbeitslose für zwei Jahre rund 560 Euro im Monat. Die arbeitende Mehrheit der möglichen Bezieher eines BGE ist damit gar nicht Teil des Versuchs. Zudem sei die Laufzeit von zwei Jahren zu kurz, um langfristige Effekte ablesen zu können. Die Verlängerung des Experiments wurde allerdings bereits abgesagt.

Ein Lastwagen kippt eine Ladung von acht Millionen 5-Rappen-Stücken im Wert von 400.000 Schweizer Franken auf den Bundesplatz in Bern. Die Aktion fand anlässlich der Unterschriftenuebergabe der Initiative "Bedingungsloses Grundeinkommen" statt.
Foto: APA/Klaunzer

Andere Versuche scheiterten bereits vor dem Start. Die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) hat mit einem BGE geworben und sich so im März die Mehrheit im italienischen Parlament gesichert. Im Regierungsprogramm mit der Lega findet sich von dieser Idee nichts mehr. Über ein BGE in Höhe von 2500 Franken wurde vor zwei Jahren in der Schweiz abgestimmt – eine große Mehrheit war dagegen.

Ob Österreich für ein BGE stimmen würde, ist unklar. Unter den österreichischen Parteien dominiert zwar Skepsis. Dass ungewohnte Allianzen der Idee zur Mehrheit verhelfen könnten, zeigt ein Blick auf die unterschiedlichen Befürworter. Nur in einem Punkt sind sich alle einig: Es müsste losgelöst von jeder Erwerbsarbeit sein. Denn unter den BGE-Befürwortern finden sich Libertäre ebenso wie Klassenkämpfer. Die einen sehen darin einen Ersatz für sämtliche Geldtransfers des Sozialstaats und damit weniger Bürokratie. Den anderen ist es ein Grundrecht auf ein materiell abgesichertes Leben.

Unterschiedliche Unterstützer

Die österreichische Initiative, die neben Haderer auch von der früheren LIF-Chefin Heide Schmidt und Gemeinwohlökonom Christian Felber unterstützt wird, sieht sich zwischen den Lagern. "Wir sind dezidiert überparteilich", sagt Pape. Man wolle den Sozialstaat ergänzen, wo er nicht ausreichend wirke, aber nicht mit der Marktwirtschaft brechen. Im Zuge der Digitalisierung müsse man aber über neue Modelle nachdenken, weil Automatisierung zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen werde.

Für van Parijs ist der zentrale Punkt ein anderer: "Ein BGE stärkt die Verhandlungsposition der Schwächeren. Sie können es sich dann leichter leisten, ein Jobangebot auszuschlagen." Firmen hätten demnach drei Möglichkeiten zu reagieren: Jobs automatisieren; Gehälter anheben; Arbeitsumfeld und Arbeitszeiten attraktiver machen. "Es ist wie ein Risikokapital für alle", erklärt van Parijs.

Keine Chancengleichheit

An dem "Für alle" stößt sich Fratzscher: "Ein BGE kann keine Chancengleichheit gewähren, weil es bedingungslos ist und für alle gleich und daher die Bedürftigkeit der Empfänger nicht berücksichtigt", sagt der DIW-Chef: "Mit einem Grundeinkommen erkennt man an, dass es Verlierer des Fortschritts geben wird, und man belässt sie in dieser Verliererposition." Der Staat sei in der Pflicht, Möglichkeiten der Eingliederung in die Arbeitswelt zu finden.

Karikaturist Haderer sieht das anders. Für ihn ist die persönliche Freiheit, das zu tun, wozu man begabt ist und worauf man Lust hat, das Reizvolle am Grundeinkommen. "Ich habe mein ganzes Leben noch nie gearbeitet, sondern mir die Zeit und Unverschämtheit genommen zu tun, worauf ich Lust habe", sagt Haderer: "Diese persönliche Freiheit kann ich jedem weiterempfehlen." Die Sozialwissenschaften werden die Vorurteile der Gegner des BGE widerlegen, ist der Karikaturist überzeugt. (Aloysius Widmann, 25.7.2018)