Einblick in die breite Palette der köstlichen Eissorten, die 1835 für die Konventtafel vorgesehen waren, erhält man in Codex 566 der Melker Stiftsbibliothek. Es ist das handschriftlichen Kochbuch der Stiftsköchin Franziska "Fany" Sagberger. Die damals 18-jährige Nichte des Küchenmeisters P. Aemilian Pesenböck aus dem bayerischen Wegscheid hätte es sich garantiert nie träumen lassen, dass ihr Buch eines Tages inmitten der mittelalterlichen und neuzeitlichen Manuskripte in der Handschriftenkammer der ehrwürdigen Melker Stiftsbibliothek landen würde. Punkto Buntheit und Vielfalt würden die Rezepte gleichwohl auch heute noch jedem Eissalon alle Ehre machen: Gefrorenes von Pomeranzen und Zitronen, von Weichseln und Ribiseln, von Erdbeeren, Himbeeren und Maulbeeren, von Schokolade und "Fanilie" finden sich hier ebenso wie die Sorte "Gefrorene Butter" – die irreführende Bezeichnung für ein feines Obers-Eis mit Zitrusgeschmack:

Nim eine halbe Maß Obers, laß es sieden, gib 4 Loth an Pomeranzen oder Lemonie, abgeriebenen Zucker und 6 Eierdötter dazu, gieß die siedende Milch hinein, spriedle (sprudle) es beständig, daß es nicht zusammenläuft, passiere es durch ein Harsieb, gieß es in die Butterbüchse und spriedle es ...

Heutzutage würde das Rezept an dieser Stelle wahrscheinlich mit etwa diesen Worten enden: "... nun in das Gefrierfach stellen und von Zeit zu Zeit gut umrühren" beziehungsweise "... und ab damit in die Eismaschine". Im Jahr 1835 (und noch sehr viel länger) war das Einfrieren, namentlich an heißen Sommertagen, natürlich nicht ganz so einfach. Im Gegenteil, es war mit erheblichem Einsatz und Muskelschmalz verbunden, aus einer siedend heißen Flüssigkeit ein eiskaltes Dessert zu zaubern, so verlockend einfach die Grundmasse oft auch herzustellen war. Bestes Beispiel dafür ist der Eisklassiker Vanille. Das bisschen Zusammenrühren der wenigen Zutaten war punkto Aufwand ja kaum der Rede wert, jedenfalls in der Variante, die Codex 566 bereithält. Will man sich allerdings ein Bild vom tatsächlichen Arbeitsaufwand bei der Herstellung von Speiseeis in Zeiten ohne Eisschrank und Gefrierfach machen, wird es erst so richtig spannend, wenn es bei Sagberger lapidar heißt: "... und mache es wie sonst":

Siede Fanilie mit Obers und laß es auskühlen gib Zucker dazu das es angenehm wird gib es in die Büchse setze es in das Eis und mache es wie sonst.

Ausschnitt aus einem Werbekatalog für Eismaschinen (Hardware merchandising January-June 1898).
Foto: Public Domain

Küchenarbeit als tägliches Workout

"Wie sonst" bedeutete zu Sagbergers Zeiten zunächst einmal, Eisbrocken in einem Kübel mit einem hölzernen Beil in kleine Stücke oder Splitter zu stampfen und in eine tiefe Wanne oder ein Becken zu füllen. Ideal waren freilich eigens dafür präparierte Eimer, die knapp über dem Boden mit einem Loch samt Spund versehen waren, um von Zeit zu Zeit Schmelzwasser ablassen zu können. Beim Befüllen musste man schichtweise vorgehen: Immer auf eine Lage Eis wurde Salz gestreut, um durch die chemische Reaktion tiefere Temperaturen zu erzielen, dann wieder Eis und so weiter. In der Mitte wurde eine Vertiefung freigeschaufelt. Da hinein setzte man eine Büchse, meist ein längliches, schmales Zinn- oder Blechgefäß, in das die laut Rezept hergestellte, abgekühlte Masse eingefüllt wurde. Ein gut schließender Deckel war unabdingbar, damit nichts vom gesalzenen Eis in die süße Mischung geraten konnte. Nun wurde das Gefäß, das bis knapp unter den Rand im Eis stecken musste, unablässig gedreht, etwa sieben bis zehn Minuten lang. Sodann war der Deckel rundherum vorsichtig trockenzuwischen, zu öffnen, die an den Innenwänden angefrorene Schicht abzukratzen und die ganze Masse gut durchzurühren. Der Verschluss wurde sorgfältig wieder daraufgesetzt, bevor es weiterging mit dem Drehen, Abwischen, Öffnen, Abschaben, Durchmischen, Schließen, Drehen ...

English Heritage

Eine halbe Stunde oder länger konnte es dauern, bis die gesamte Mischung gut durchgefroren war und die richtige Konsistenz hatte. Das kam immer auf die Zutaten an: War Alkohol im Spiel, musste man mit einer deutlich längeren Gefrierzeit rechnen als zum Beispiel bei reinem Fruchteis. Eine Anforderung an das Durchhaltevermögen jeder Küchengehilfin, unausgesetzt mit kalten, klammen Fingern die raschen, energischen Drehbewegungen durchzuführen, bei ständigem Hautkontakt mit dem gesalzenen Eis. Dazu kamen die Anstrengungen schon im Vorfeld: Setzte die eigentliche Küchenarbeit laut Rezept erst mit dem Bereiten der Gefriermischung ein, so musste ja doch zuvor jede Menge Eis in die Wanne oder den Kübel geschöpft werden, davor gestampft, wiederum davor aber erst einmal herbeigeschleppt werden.

Hier steht man als kulturtechnisch verwöhnter Mensch des 21. Jahrhunderts, der Eiswürfel oder Crushed Ice bei Bedarf ganz einfach aus dem Eisfach seiner Kühl-Gefrier-Kombi holt, recht fantasielos da, wenn es um die Frage geht: Woher nahm man denn eigentlich im Stift Melk mitten im Hochsommer 1835 das Eis, das benötigt wurde, um Gefrorenes herzustellen? Wo wurde das Eis gelagert, das im Winter 1834 am Donauarm oder an Teichen der Umgebung geerntet werden musste, um dann in die Eiskeller des Klosters eingebracht zu werden? Ein Lokalaugenschein ist angesagt.

Kolomanihof und Altane im Stift Melk.
Foto: Bernadette Kalteis

Hotspot Eiskeller

Liegt die Stiftsküche mit all ihren Neben-, Kühl- und Kellerräumen heute zentral eingebettet im Klosterkomplex, war die Situation Anfang des 19. Jahrhunderts – und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein – eine völlig andere. Wenn Touristen heutzutage vom Marmorsaal kommend auf die Altane treten, den nordöstlichsten Zipfel des Stifts, und ihre Blicke ins Donautal und ins Alpenvorland schweifen lassen, bevor sie auf der anderen Seite dieser weltberühmten Terrasse in die dämmrige Kühle der Stiftsbibliothek treten, ahnen sie natürlich nicht, dass sich einen Stock tiefer seinerzeit die Räumlichkeiten der alten Stiftsküche befanden, im von der Altane aus einsehbaren Kolomanihof Holz gelagert wurde, auf weiteren, tiefer gelegenen Ebenen aber nach Norden ausgerichtete Arbeits- und Vorratskeller lagen.

Totenstill, vor allem aber angenehm kühl ist es hier unten, auch jetzt, im Sommer. Noch vor wenigen Jahren wiesen vermodertes Holz, riesige, rostige Eisenringe und ein ganzer Haufen mächtiger Steinkugeln in einem der Gewölbe darauf hin, dass hier einst Gemüse und Kraut gelagert worden waren – die Steine dienten zum Beschweren der Deckel auf offenbar enormen Fässern. Ums Eck gelangt man in einen kleinen Seitengang, der ursprünglich noch einmal separat durch eine hölzerne Doppeltür vom Hauptgang abgetrennt war, erkennbar an den noch vorhandenen Türstöcken. Seitlich in diesem kurzen, stockfinsteren, toten Gangstück stößt man auf eine noch erhaltene, uralte Holztüre.

Blick in den alten Eiskeller im Stift Melk.
Foto: Bernadette Kalteis

Wagt man sich dort hinein, tut man gut daran, sehr vorsichtig zu sein, denn man steht praktisch direkt vor einem Abgrund: Ein Schritt zu viel und man stürzt an die fünf Meter in die Tiefe. Im Türrahmen stehend befindet man sich etwa auf halber Höhe des alten, barocken Eiskellers, eines etwa zehn bis zwölf Meter hohen, kreisrunden Raumes von einigen Metern Durchmesser, der nach oben hin deutlich breiter wird. Man kommt sich vor wie im Inneren eines Cocktail-Shakers.

Eiskeller waren üblicherweise mit Holzplanken ausgekleidet, auf denen die Eisblöcke dicht aneinander und übereinander geschichtet ruhten. Schmelzwasser wurde in Bodennähe ins Freie – oder wie hier in Melk – zunächst in einen Kanal abgeleitet. Oft wurde zusätzlich Stroh zwischen das Mauerwerk und die Holzverschalung gestopft, um einen höheren Isoliereffekt herbeizuführen. Nichts davon ist in Melk mehr erkennbar. Lediglich ein gemauertes Sims etwa einen Meter über dem Grund lässt erahnen, dass hier einst massive Holzbalken aufgelegen haben mussten. Eine uralte Holzleiter, die vor Jahren noch im Raum gelehnt hatte, wurde mittlerweile weggeräumt. Mit ihrer Hilfe war wohl früher das Eis hinein und hinaus gebracht worden. Weit oben ist eine Luke erkennbar, durch die ein wenig Licht fällt: Durch sie wurde das benötigte Eis entnommen oder auch eingelagert, wenn es von unten, von der Türöffnung aus nicht mehr möglich war, weil der Eisberg im Inneren schon zu hoch angewachsen war.

Die Lage am Nordhang des Stiftsfelsens, tief unter dem Klostergebäude – der untere Zugang isoliert durch den Luftpolster im toten Gangstück und die "Klimaschleuse" der Doppeltür, der obere vor Sonneneinfall geschützt hinter geschlossenen Arkaden, sowie durch eine schwere Tür (von der ebenfalls nur mehr der Türstock mit mächtigen Beschlägen zeugt) – war optimal für einen Eiskeller. Optimal war sie auch für Sagberger und ihre Kolleginnen, die nur den Hof zu überqueren brauchten, wenn sie Eisbrocken zur Zubereitung des klösterlichen Gefrorenen benötigten. Es war dies übrigens nicht der einzige Ort im Kloster, wo man Eis lagerte: Auch im kleinen Barockkeller gegenüber der Kaiserstiege, wo das Eis zur Kühlung der Weine für die dort befindliche Ausschank benötigt wurde, und in der Nordbastei im Eingangsbereich des Klosters war das der Fall.

Eis oder Gefrorenes?

Nach dieser Exkursion in die Untiefen ehemaliger Lagerstätten und Vorratskeller des Klosters in Melk wird auch klar, warum Kochbücher des 19. Jahrhunderts konsequent vom "Gefrorenen" sprechen, wenn wir "Eis" – nämlich Speiseeis – meinen: Eis war das Mittel, mit dem man eine zubereitete Masse zum Gefrieren bringen konnte. Ergebnis der Bemühungen war das Gefrorene in verschiedensten verlockenden Geschmacksrichtungen. Diese Unterscheidung galt bis ins 20. Jahrhundert. Erst als sich durch den ständigen technischen Fortschritt nach und nach elektrisch betriebene Kühl- und Gefrierschränke durchsetzten und die noch mit Natureis zu befüllenden Eisschränke ablösten, verschwand auch das Gefrorene aus unserem Sprachgebrauch und das Speiseeis setzte sich durch.

Eiszeit an der Prälatentafel

Demgemäß finden sich auch in einem handschriftlichen Kochbuch aus dem Jahr 1892, dessen Besitzerin die Melker Stiftsköchin Marie Schrammel gewesen war, noch Rezepte unter der Bezeichnung Gefrorenes. Sie erscheinen, verglichen mit denen in Codex 566, noch vielfältiger, bunter und abwechslungsreicher. Es sind auch deutlich mehr verschiedene Varianten aufgelistet, von einfachen Obsteissorten über eine reichhaltige Palette an alkoholischen Verführungen – darunter "Punsch-Gefrornes", "Gefrornes von Rosen Liquer" oder "Ananas mit Schaum", also mit Champagner – bis hin zu raffinierteren, anspruchsvolleren Spielarten wie den "eingeschlagenen Gefrornen". Marie Schrammel verwendete für diesen Abschnitt das Kochbuch des bayrischen Hofkochs Johann Rottenhöfer zur Abschrift, das sie Wort für Wort übernahm. Dabei wählte sie allerdings nur einen kleinen Teil der dort angegebenen Rezepte aus, wohl weil sie ihr am besten umsetzbar und am brauchbarsten für die Bedürfnisse der Melker Klostertafel erschienen.

Ein wahres Fest für Gaumen und Augen war ohne Zweifel der "Korb mit Früchten". Mehrere Behältnisse in unterschiedlichsten Größen, randvoll gefüllt mit Eisbröckchen, sowie eine Unzahl an Formen aus Zinn waren dazu nötig, praktisch für jede gewünschte Obstsorte mindestens eine, die mit der entsprechenden Fruchtmasse gefüllt wurde. Dazu kam eine große Form für den "Korb", der durch und durch aus Vanilleeis bestand und mit den eisigen Früchten belegt wurde. Rottenhöfer empfahl Modeln von Orangen, Zitronen, Aprikosen, Pfirsiche, Feigen, Äpfel, Birnen, Zwetschken, Pflaumen und große Kirschen. Die fertigen Eisfrüchte wurden abschließend mit unschädlicher, chemisch bereiteter Farbe ganz leicht bemalt. Dazwischen wollte er dekorativ Orangenblätter gesteckt wissen, um den frischen, natürlichen Gesamteindruck zu vervollkommnen. Viele Stunden, genaues Arbeiten und wohl auch eine gute Portion künstlerisches Geschick waren nötig, bis die kalte Pracht fix und fertig aus der Stiftsküche zur Tafel gegeben werden konnte.

Schön ist es, die Fantasie spielen zu lassen und sich diese opulente Herrlichkeit vorzustellen, in deren Genuss Abt Alexander Karl (1875-1909) und die Melker Patres an sommerlichen Festtagen gekommen sein mochten – notwendig ist es indes nicht. Rottenhöfer half dem Vorstellungsvermögen seiner Leser nämlich ein wenig nach, indem er freundlicherweise Abbildungen zu ausgewählten Rezepten mitlieferte.

Illustration zum Eisrezept "Ein Korb mit Früchten" aus dem Kochbuch von Johann Rottenhöfer.
Foto: Public Domain

Eis gab es im Kloster aber nicht nur an Feiertagen, sondern eigentlich immer wieder, wie Schrammels datierte Speisezettel mit Menüabfolgen belegen. Es sind nicht viele, die sich erhalten haben, aber sie erlauben einen Blick auf den Tisch des Melker Abtes, die "Prälatentafel", an ganz normalen Wochentagen zwischen Mai und Juli des Jahres 1892. Bemerkenswert dabei ist: Gefrorenes war der Fixstarter unter den Desserts und findet sich an jedem einzelnen der dokumentierten Tage aufgelistet. Vanille durfte dabei nie fehlen und wurde kombiniert mit einer roten Fruchteissorte – entweder Ribisel, Himbeere oder Erdbeere. Wochentags wurden offenbar weniger ausgeklügelte Eis-Variationen geboten, verzichtet wurde darauf aber deswegen noch beileibe nicht.

Vanille-, Himbeer- und Ribiseleis auf der Tafel des Melker Abtes.
Foto: Bernadette Kalteis

Fortschritte und Innovationen

Die fortschreitende Entwicklung auf dem Sektor der Kältetechnik während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam nur nach und nach in der Melker Stiftsküche und bei Schrammel an. So findet man in ihrem Kochbuch eine Passage über die Zubereitung von Gefrorenem, die vermutlich aus der 21. Auflage des weit verbreiteten Kochbuchs der Katharina Prato abgeschrieben wurde (erschienen 1889). Im Großen und Ganzen unterscheidet sich die Anleitung punkto Ablauf der Eiserzeugung zunächst kaum von jenen in älteren Kochbüchern, die schon Sagberger gekannt haben konnte. Allerdings gibt es nun auch Neues zu entdecken, etwa den Hinweis auf die neueren Arten von Gefrierbüchsen, welche Beschleunigung und Erleichterung der Erzeugung versprechen, oder auch folgenden Ratschlag: "Wenn man das Frieren beschleunigen will, gibt man nebst Salz auch Salpeter und Salmiak, von jedem 7 Deka dazu, wodurch es in 10 Minuten fest wird, daher man es Eisenbahn- oder Minutengefrorenes nennt."

Beide Anregungen zielen auf die Vereinfachung und Beschleunigung der Arbeitsabläufe ab. Auch wenn der Hinweis auf die Beimengung von Salpeter und Salmiak zusätzlich zum üblichen Gefrierpusher Salz nicht neu war, so verdient doch die originelle Bezeichnung "Eisenbahngefrorenes" Beachtung, die unbedarft Aspekte aus den Bereichen der Kochtradition und des Verkehrswesens in Beziehung setzt. Tatsächlich aber veränderte kaum etwas so sehr die Wahrnehmung von Geschwindigkeit in der Bevölkerung, wie der Ausbau der Eisenbahnstrecken in der k. k. Monarchie, vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sollte es schnell und akkurat gehen: Eisenbahn – oder eben Eisenbahngefrorenes.

Der technische Fortschritt war nicht aufzuhalten und suchte zielstrebig seinen Weg ins Bewusstsein der Allgemeinheit: Bereits 1866, anlässlich einer  land- und forstwirtschaftlichen Ausstellung im Wiener Prater, wurden neben Kaffeemaschinen, Apfelschälmaschinen und vieler weiterer alltagspraktischer Innovationen auch mehrere Eismaschinen unter den Besuchern verlost. 1872 wurde unter dem Aufhänger "Neueste Erfindungen" die Beschreibung einer Eismaschine zur Bereitung von Gefrorenem publiziert, die in verschiedenen Größen zu haben war: Die kleinste konnte auf einen Schlag drei Portionen Gefrorenes herstellen, die größte ganze 24 Portionen. 1874 erschienen eigens für diese Maschine adaptierte Eis-Rezepte. 1873, bei der Wiener Weltausstellung, konnten zahlreiche Gefriermaschinen einem internationalen Publikum vorgestellt und auf ihre Alltagstauglichkeit hin getestet werden. Leider gibt es keine Hinweise darauf, ob jemals so ein Gerät für die Melker Stiftsküche angeschafft wurde, doch kann immerhin vorsichtig festgehalten werden, dass erfahrungsgemäß jede Art von Tradition im Kloster einen langen Atem hat.

Ein historisches Rezept für "Fingerhollerhippen" im Melker Codex 566 (S.128).
Foto: Stift Melk

Notwendiger Exkurs: Hohlhippe & Eisstanitzel

Der "Sonntags-Postillon", eine Kolumne im "Sonntags-Blatt für Gewerbe, Industrie, Handel und geselliges Leben", berichtet am 1. Juni 1862 von einer bemerkenswerten Beobachtung in Wien: "Auf den belebtesten Passagen sieht man kleine Schiffe mit Segel einherfahren – freilich nicht im Wasser, sondern auf Rädern, ein Mann im Matrosencostüme zieht dieselben. Diese Schiffe sind nichts anders als tragbare Eiskeller, in welchen alle Gattungen Erfrischungen: Gefrorenes, Erdbeerensaft etc. etc. enthalten sind. Ein Gefrorenes sammt Tasse und Löffel kostet 10 kr.! Freilich, schöne Leserin, mußt Du Tasse und Löffel aufessen, denn beide bestehen aus einem feinen Holipenteige, den man als Nachspeise zum Gefrornen ißt."

Wer mit dem Begriff "Hippe" nichts anderes als kleine Waffelröllchen verbindet, eben die allseits bekannten Hohlhippen, liegt nicht ganz richtig. Vielmehr ist es die spezielle Verarbeitung, die eine Hippe ausmacht: Der Teig kann nach dem Backen, also noch heiß geformt werden. Das Gebäck wird erst nach dem Abkühlen fest. Ob daraus flache Waffeln, gerollte Teigröhrchen, Stanitzel, Schalen oder sonstige Formen gemacht werden – wie eben auch die oben erwähnten Tassen samt Löffel –, ändert nichts daran, dass es sich beim Endprodukt um eine Hippe handelt. Bei Sagberger findet sich dazu folgendes Rezept: 

Fingerhollerhippen zu machen

Nim 2 Eyer Schwer Zucker 1 Ey schwer feines Mehl stoße den Zucker und fähe ihn dann gib den Zucker in ein Häferl schlag 2 Eyer daran etwas Lemonie Saft rühre es bis es dick wird dann gib das Mehl darein nur so viel gerührt daß es durch einander komt schmier ein Blätel mit Wachs gib kleine Bätzl darauf dan druck sie über den Finger oder koch Löffel sie sind gut!

Ein Hoch der Eis-Zeit!

Dankbar, es 2018 wesentlich bequemer zu haben und nicht schon im Winter an den Sommer denken zu müssen, um rechtzeitig Eis einzulagern, das später zerklopft, gesalzen und gerührt werden muss, bevor man süße Massen darin zum Gefrieren bringen kann, endet hier die Reise in die Melker Eis-Vergangenheit. Von süß bis würzig, von denkbar einfachen bis zu unerhört aufwändigen Rezepten wurde während der letzten 180 Jahre im Kloster alles geboten – bis hin zur klassischen Beilage zum Gefrorenen, der Hippe. Die beiden Kochbücher von Sagberger und Schrammel werden wieder zugeklappt und in die Handschriftenkammer gebracht. Sie sind gut zu lesen, auch wenn man an manchen Stellen mit dem Entziffern der Handschrift zu kämpfen hat. Aber es zahlt sich aus, ihre Lektüre ist auf jeden Fall immer eine spannende Reise in eine völlig andere Zeit und Dimension des Kochens und Gefrierens. (Bernadette Kalteis, 31.7.2018)

Literaturhinweise

  • Kalteis, Bernadette: Who the hell is Fany? Einer Stiftsköchin auf den Fersen. In: Andrea Hofmeister-Winter (Hrsg.), Kochbuchforschung interdisziplinär. Graz 2017, 225-268.
  • Koch-Buch von verschiedenen Speisen für Fany Sagberger vom löblichen Stifte Melk 1835. Stiftsbibliothek Melk, Cod. 566.
  • Kochbuch von Marie Schrammel. Melk 1892. In Privatbesitz, derzeit als Leihgabe in der Stiftsbibliothek Melk.
  • Nutzbares, galantes und curieuses Frauenzimmer-Lexicon etc. Leipzig 1772.
  • Prato, Katharina: Die Süddeutsche Küche auf ihrem gegenwärtigen Standpunkte etc. 21. Auflage. Graz 1889.
  • Reining, Wessel, Johan Gerard Vermeulen und Manfred Wehdorn: Eiskeller. Kulturgeschichte alter Kühltechniken. Wien 1995.
  • Rippl, Johann (Hrsg.): Sonntags-Blatt für Gewerbe, Industrie, Handel und geselliges Leben. Bd. 5. Nr. 22 am 1. Juni 1862.
  • Rottenhöfer, Johann: Neue vollständige theoretisch-praktische Anweisung in der feinern Kochkunst mit besonderer Berücksichtigung der herrschaftlichen und bürgerlichen Küche. München 1859.
  • Theobald, Mary Miley: Some Cold, Hard Historical Facts about Good Old Ice Cream. [Früchtekorb aus Eis, Eiszubereitung]
    http://www.history.org/foundation/journal/spring10/icecream.cfm
  • Zenker, F.G.: Der Zuckerbäcker für Frauen mittlerer Stände. Wien 1834.