Der deutsche Schriftsteller und Historiker Philipp Blom während seiner Festrede im Rahmen der Eröffnung der Salzburger Festspiele.

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Salzburg – Auch wenn die Salzburger Festspiele 2018 unter dem emotionalen Motto "Passion, Ekstase, Leidenschaft" stehen, hat sich der offizielle Festredner Philipp Blom am Freitag in der Felsenreitschule mit einem scheinbar gegengelagerten Thema auseinandergesetzt: der Aufklärung. Blom verband sein Plädoyer für eine neue Aufklärung allerdings mit einem Appell an die Rehabilitation der Leidenschaft.

"Wir sind alle Kinder der Aufklärung" lautet der Titel der Rede des in Deutschland geborenen und in Wien lebenden Historikers und Schriftstellers. Er selbst sei – ungeachtet aller pubertärer Schwierigkeiten bei der Annäherungen an die Kant'sche Philosophie – doch früh von der Liebe zur Vernunft infiziert worden. Die Behauptung, dass sich ein Pfad durch die chaotische Welt nicht in einer heiligen Schrift, einer Bibliothek oder einem Mythos, sondern in sich selbst finden lasse, in der Fähigkeit zur Vernunft, das sei berückend gewesen. Er habe begriffen, dass Philosophie nicht aus Lehrsätzen bestehe, sondern aus einem ganzen Feld von Diskursen und Debatten: "Philosophie ist, wie die Schweizer Philosophin Barbara Bleisch es formuliert, riskantes Denken."

Respekt vor Fakten in Defensive geraten

Die vermeintliche Selbstverständlichkeit, mit der sich die westliche Welt als Kind der Aufklärung begreife, entlarve sich derzeit jedoch: "Dabei widerlegt gerade die Gegenwart ganz offensichtlich solche Bekenntnisse, denn es hat in westlichen Ländern seit dem Ende des Totalitarismus keinen so weit reichenden und mächtigen Angriff auf die Aufklärung gegeben, wie heute." Mit einem Male gerate der Respekt vor Fakten und dem kritischen Denken gegenüber Meinungen, Gefühle und Vorurteilen in die Defensive.

"Auch die universellen Menschenrechte sind längst zu einer rhetorischen Beschwichtigung zusammengeschnurrt", so Blom mit Verweis auf den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen: "Das universelle Denken und die universellen Menschenrechte sind abgelöst worden vom Rückzug auf das Eigene, auf die Nation, die Grenze. Freiheit, Gleichheit und Solidarität sind offensichtlich nur dann attraktiv oder durchsetzbar, wenn sie von hohen Mauern und Stacheldraht geschützt werden." Hier mutiere der Begriff der Aufklärung zum Kampfbegriff der Abgrenzung.

Zukunft als Bedrohung

Der Grund, dass dies genau jetzt passiere, sei einfach: "Weil es immer mehr Menschen mit der Angst zu tun bekommen." Man fürchte den Verlust in einer Welt, die Rationalität durch die Rationalisierung ersetzt habe, die Freiheit des Menschen durch die Wahl der Konsumenten zwischen Produkten. Und immer mehr Menschen würden spüren, dass die künstliche politische Idylle der Nachkriegszeit vorbei sei. Zukunft sei keine Verheißung mehr, sondern eine Bedrohung, da man nicht noch reicher, sicherer und privilegierter werden könne: "Die schönste Hoffnung unserer Gesellschaften ist es deswegen geworden, Zukunft überhaupt zu vermeiden und in einer nie endenden Gegenwart zu leben", so Blom.

Man verstehe sich als Nachkommen von Pionieren des Denkens, halte sich insgeheim für moralisch überlegen, weil die Vorfahren einst mutig waren. "Vielleicht ist es an der Zeit, endlich erwachsen zu werden", desavouierte Blom das Diktum von den "Kindern der Aufklärung".

Neue Aufklärung notwendig

Notwendig sei deshalb eine neue Aufklärung unter anderen Parametern. "Was wäre, wenn eine neue, dringend gebrauchte Aufklärung mit einer Rehabilitierung der Leidenschaft beginnen würde?", plädierte Blom für einen neuen Fokus. Der Mensch müsse sich wieder als leidenschaftliches Wesen begreifen, das 98 Prozent seines Erbguts mit dem Schimpansen teile: "Dann würden wir begreifen, dass wir nicht erhaben sind über die Natur, sondern mitten in ihr."

Stattdessen weise der Mensch leider erstaunliche Nähe zum Hefepilz auf: "Auf individuellem Niveau haben Hefepilze zwar keinen Mozart und keinen Shakespeare hervorgebracht; kollektiv aber scheinen Menschen über Jahrmillionen der Evolution wenig mehr gelernt zu haben als die Hefe. Wir fressen uns dem eigenen Ersticken entgegen."

Deshalb bedürfe es wieder der Lust am riskanten Denken: "Wer bereit ist, die Dynamik des aufgeklärten Denkens gegen die Dogmen der Gegenwart zu kehren, wer bereit ist, riskant zu denken, kann Teil einer Zukunft werden, in der es sich zu leben lohnt. Nicht als Kind oder als Erbe, sondern als Teil der Natur, als empathischer Primat – und aus Leidenschaft für ein gutes Leben." (APA, 27.7.2018)