Glasgow – Fragt man Männer und Frauen nach der Anzahl ihrer bisherigen Sexualpartner, unterscheiden sich die Antworten enorm: Durchschnittlich ist die angegebene Zahl bei Männern doppelt so hoch wie bei Frauen – und das in Untersuchungen weltweit. Forscher der Universität Glasgow glauben, eine Erklärung für diese Diskrepanz gefunden zu haben: Während Männer schätzen, zählen Frauen.

Befragungen aus den USA, Großbritannien und Deutschland kommen immer wieder zu dem Ergebnis, dass Männer doppelt so viele Sexualpartner nennen wie Frauen. In Deutschland ergab etwa eine repräsentative Studie, deren Ergebnisse 2017 im "Deutschen Ärzteblatt" veröffentlicht wurden, dass Männer in ihrem Leben mit zehn Partnerinnen geschlafen hätten, während die Antwort von Frauen "fünf Partner" lautete. "Selbstwertdienliche Verzerrungen und geschlechtsspezifisches Antwortverhalten könnten zu den unterschiedlichen Angaben beigetragen haben", schrieben die Wissenschafter dazu. Und weiter: "Unseres Wissens nach wurden die Ursachen für diese diskrepanten Angaben bisher nicht untersucht."

Angebliche Spitzenwerte meist männlich

Dieser Forschungslücke hat sich nun ein Team um die Sexualforscherin Kirstin Mitchell von der Universität Glasgow gewidmet. Als Grundlage für ihre Untersuchung, die im "Journal of Sex Research" veröffentlicht wurde, nutzten die Wissenschafter Daten des dritten britischen "National Survey of Sexual Attitudes and Lifestyles", kurz Natsal-3. Im Rahmen dieser Studie werden ungefähr alle zehn Jahre Tausende heterosexuelle Briten in persönlichen Interviews zu ihrem Sexualverhalten befragt. An Natsal-3 nahmen 15.162 Frauen und Männer zwischen 16 und 74 Jahren teil. Eine ähnlich große Bevölkerungsstudie zum Sexualverhalten gibt es in Deutschland nicht.

Der Befragung zufolge hatten die Männer im Schnitt Sex mit 14 Partnerinnen, Frauen mit durchschnittlich sieben Partnern. Auf der Suche nach Erklärungen dafür stießen die Wissenschafter aus Glasgow auf verschiedene Gründe. Studienteilnehmer, die besonders viele Sexualpartner angaben, waren überwiegend männlich. Ließe man beispielsweise alle Männer weg, die von 110 und mehr Sexualpartnerinnen berichteten, oder alle Frauen mit mehr als 50 Partnern, werde der Unterschied zwischen den Geschlechtern insgesamt kleiner, so die Forscher.

Schätzung statt Zählung

Dieser Unterschied wurde noch geringer, wenn die Wissenschafter berücksichtigten, auf welche Weise die Zahlen zustande gekommen waren: So schätzten 24 Prozent der Männer die Anzahl ihrer Sexpartner, während es bei den Frauen nur 15 Prozent waren. Je höher die Zahl der berichteten Sexualpartner, desto wahrscheinlicher handelte es sich vor allem bei den Männern um eine Schätzung. Insgesamt, so die Beobachtung der Forscher, zeigten Frauen zudem eine konservativere Einstellung gegenüber Sex. So gaben weniger Frauen an, kein Problem mit One-Night-Stands zu haben, und mehr Frauen verurteilten Fremdgehen von verheirateten Menschen schärfer. Kaum eine Rolle für das Studienergebnis spielte hingegen bezahlter Sex, die Angabe zum Sex mit Partnern außerhalb Großbritanniens veränderte die Zahlen ebenfalls nur geringfügig.

Für die beteiligten Forscher ist ihre Arbeit mehr als eine Erklärung statistischer Phänomene: "Die genaue Erfassung der Zahl von Sexualpartnern ist aus vielen Gründen von entscheidender Bedeutung, einschließlich der Bewertung des individuellen Risikos sexuell übertragbarer Infektionen (STI) sowie der Schätzung der Übertragungsrate von STI- und HIV-Infektionen", sagte Sexualforscherin Kirstin Mitchell. Ähnlich hatten auch die Autoren der deutschen Erhebung argumentiert und für breiter angelegte Bevölkerungsstudien plädiert. (APA, 29.7.2018)