Wien ist eine wunderbare Stadt. Nur eine Gefahr (außer den zu hohen Mieten) bedroht das gute Leben in der Stadt: die Verkitschung.

Auf dem Stephansplatz warten seit einiger Zeit girlandengeschmückte Fahrradrikschas auf Fahrgäste. Hongkong in Wien? Oder nur internationaler Touristenkitsch? Ebenfalls neu und immer zahlreicher: seltsame Gefährte, eine Art Oldtimerautos mit Stoffdach, mit denen der Wien-Besucher durch die Stadt gondeln kann wie durch Disneyland. Passt zum Alltagsverkehr wie die Faust aufs Auge und verkündet eine Botschaft, die lauten könnte: Das ist keine europäische Metropole, das ist Kulisse für den Fremdenverkehr.

Ist es mieselsüchtige Raunzerei, sich über derlei Gedanken zu machen? Ist man ein Spielverderber, wenn man sich über solche harmlose Gepflogenheiten alteriert? Warum sollen die Touristen nicht ihren Spaß haben? Gewiss. Aber die schleichende Verwandlung einer Großstadt in ein Ferienparadies, das mit ihrer eigenen Identität nichts mehr zu tun hat, sondern einer vagen Vorstellung von Freizeitkitsch genügen möchte, lohnt das Nachdenken.

Die Verwandlung geschieht nicht von heute auf morgen, sondern langsam und schrittweise. Da sind die Souvenirgeschäfte, die immer zahlreicher werden und "normale" Läden verdrängen. Die Waren, die sie feilbieten, sind immer gleich und immer gleich scheußlich: Regenschirme mit dem unvermeidlichen Kuss von Klimt. Kaffeetassen, ebenfalls mit Klimt-Kuss. Trikots mit der Aufschrift: I love Vienna. Statt des Wortes Love ein rotes Herzelein. Touristendirndl mit Riesenausschnitt, die keine Österreicherin, die ihre fünf Sinne beieinanderhat, je anziehen würde. Spitze Trachtenhüte mit Feder, offensichtlich für Schwarzwald-Heinzelmännchen gedacht. Gelegentlich pseudobayrische Bierkrüge. Munich oder Vienna, wen kümmert's? Man ist auf Urlaub, das allein zählt.

Allerunterste Geschmacksebene

Es hat etwas Peinliches, wenn sich eine Stadt auf diese Weise ihren Besuchern andient und dabei mit Bedacht auf die allerunterste Geschmacksebene abzielt. Der intelligente Reisende sucht in einer fremden Stadt deren authentischen Charakter. Er will wissen, wie die Einheimischen leben und was sie besonders macht. Jede europäische Großstadt hat ihr eigenes Flair. Das gilt für Wien ebenso wie für Paris und Rom. Wenn eine Stadt aber versucht, stattdessen ein beliebiges Allerweltsgesicht zu zeigen, dann geht etwas Wichtiges verloren. Es gibt auch Touristenheurige, die dieses Image pflegen, mit Geschunkel und Gejodel, eine Mischung aus Skihütte, Oktoberfest und Ballermann.

Jede Stadt, die von Fremden gern besucht wird, ist mit diesem Phänomen konfrontiert. Amsterdam, Prag, Barcelona, können ein Lied davon singen. Sie wehren sich, so gut sie können. Kitsch ist nicht einfach schlechter Geschmack. Es ist eine Form der Verlogenheit, eine Werbung um Billigtouristen, die diese für dümmer verkauft, als sie sind. Und dabei ein kostbares Stück des eigenen Charakters dahingibt.

Wien – und auch Salzburg – muss aufpassen, dass es auf diesem Weg nicht zu weit geht. Sicher, Touristen bringen Geld. Aber wenn man für dieses Geld seine Seele verkaufen muss, ist das auf lange Sicht zu teuer. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 2.8.2018)