Philippe Narval ist seit 2012 Geschäftsführer des Europäischen Forums Alpbach. Er will bei den Gesundheitsgesprächen auch Bewusstsein für Probleme schaffen.

Foto: alpbach.org

STANDARD: Österreich hat den EU-Ratsvorsitz und dabei das Motto: "Ein Europa, das schützt". Wie passt das mit dem heurigen Thema der Gesundheitsgespräche "Diversität und Resilienz" zusammen?

Narval: Gar nicht, wenn man mit "schützen" auf den Schutz der Außengrenzen abzielt oder sich entscheidet, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Die Gründungsväter der Europäischen Union hatten sicherlich eine andere Vision von Europa. Doch "Schutz" lässt sich ja auch als globale Verantwortung interpretieren. Da gibt es wirklich viel zu tun. Darüber wollen wir reden.

STANDARD: Worüber genau?

Narval: Es ist doch eine Illusion, zu glauben, dass in einer global vernetzten Welt die Einzelinteressen eines Landes noch zählen würden. Ebola hätte der ganzen Menschheit um die Ohren fliegen können, hätte die internationale Staatengemeinschaft nicht nach einem gemeinsamen Plan gehandelt. Darin sehe ich die Vorteile der Europäischen Union, und die zwei Tage in Alpbach sollen den Teilnehmenden die Möglichkeit geben, eine Art intellektuelle Sommerfrische in ihrem Fachgebiet zu erleben.

STANDARD: Was sind die Themen?

Narval: Die Selbstoptimierung des Menschen, die in der Medizin weit über die Schönheitschirurgie hinaus Einzug gehalten hat. Darüber wird zu wenig geredet. Was, wenn es schon bald einen Chip gibt, der die Leistungsfähigkeit eines Menschen verbessert. Das hätte zum Beispiel massive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Jeder, der im Gesundheitssystem aktiv ist, sollte einmal darüber nachgedacht haben. Es ist ein kontroverses Thema, ich hoffe, wir streiten darüber.

STANDARD: Sie meinen, weil es um Datenschutz und E-Health geht?

Narval: Genau. Wir haben große Vorbehalte dagegen in der Bevölkerung. Aus meiner Sicht fehlt aber eine wirkliche Debatte darüber. Das hat zur Folge, dass wir tatsächlich den Anschluss an bahnbrechende Innovationen verlieren könnten. Daten treiben die personalisierte Medizin voran.

STANDARD: Sehen Sie einen Weg?

Narval: Wenn es um Big Data geht, hat Europa mit seinen strengen Datenrichtlinien doch die Chance, ein Gegenmodell zu den Visionen in Silicon Valley zu entwickeln – mit aller gebührenden Transparenz, versteht sich. Schließlich hat Europa gerade beispielgebende Datenschutzrichtlinien auf Basis von unseren Grundrechten ausgearbeitet. Im Sinne des medizinischen Fortschritts sollten wir sie auch nutzen.

STANDARD: Überraschend im Programm ist, dass Transsexualität in den Tiroler Bergen Thema ist.

Narval: Wir wollen den Leuten, die hierherkommen, neue Einblicke bieten. Transsexualität ist ein Randthema, ja, aber eines, über das in unserer Gesellschaft großer Aufklärungsbedarf herrscht. Hier wollen wir einen Beitrag zur umfassenden Aufklärung leisten, die Teilnehmenden das Big Picture eines Problems liefert. Im Alltag haben die wenigsten Zeit dafür.

STANDARD: Gesundheit ist ein Querschnittsthema. Ist die Struktur des Forums, das die Fachbereiche getrennt voneinander abhandelt, noch zeitgemäß?

Narval: Das ist ein wunder Punkt für uns, wenn Sie so wollen. Denn einerseits wissen wir, dass wir ein jährlicher Treffpunkt für die Stakeholder der Gesundheitsbranche sind. Das wollen wir bleiben. Wir versuchen jedoch, das Silodenken aufzubrechen, indem wir bewusst thematische Kontrapunkte setzen. Dieses Jahr wird es "Ethics in Action" geben. Vertreter aller Weltreligionen werden über Maßnahmen gegen Korruption diskutieren. Sie spielt ja auch im Gesundheitswesen eine Rolle. Wir haben den US-Ökonomen Jeffrey Sachs eingeladen. Das Querschnittsdenken gelingt uns sehr gut in den Seminarwochen mit den jungen Stipendiaten. Die bekommen einen gut vernetzten Einblick in die Lage der Welt. Sie sind aber auch drei Wochen dabei. (Karin Pollack, 5.8.2018)