Matteo Sedda in dem Solo "The generosity of Dorcas".

Der Himmel hängt voller Nadeln, jede einzeln an einem bunten Faden. Unter diesem wie von Zauberhand angehaltenen Wolkenbruch tanzt ein schwarz gekleideter Mann mit Zylinder, goldenem Lippenstift und weißen Handschuhen: Matteo Sedda in dem Solo The generosity of Dorcas, das Jan Fabre für diesen Tänzer aus seiner Company Troubleyn geschaffen hat. Uraufführung war am Wochenende bei Impulstanz im Odeon.

Die Dorkas ist eine Figur der neutestamentlichen Apostelgeschichte, die in Jaffa lebte, wunderbar nähen konnte und für ihre Freigebigkeit bekannt war. Als sie nach einer Krankheit starb, erweckte Petrus sie wieder zum Leben. In Fabres Stück verkörpert Sedda offensichtlich nicht die Dorkas, sondern den Mephisto, der die Nadeln eine nach der anderen aus dem Himmel pflückt und sie einmal gar wie Hörner an seine Stirn hält.

Mephistophelischer Tanzmagier

The generosity of Dorcas ist die Hommage eines faustischen Fabre an seinen Tänzer und dessen Großzügigkeit, alles zu geben, wie Sedda es etwa bei dem 24-Stunden-Opus Mount Olympus des belgischen Künstlers und Choreografen getan hat. Zylinder, Umhänge und weiße Handschuhe – die als Witz ihre Pendants in Form von weißen Kniestrümpfen an den Füßen des Tänzers haben – lassen Sedda als Magier erscheinen.

Besitzt Mephisto doch nützliche Zauberkräfte, die den Faust verjüngen. Das lässt wiederum an Petrus denken, der die Dorkas ins Leben zurückzuholen vermochte. Sedda wird als mephistophelischer Tanzmagier vorgeführt, der sogar die Manège tanzt: eine im Kreis erfolgende Reihe von Sprüngen, die im klassischen Ballett als höchste Form männlicher Virtuosität gilt.

Jan Fabres Nadelhimmel ist auch als Metapher auf das Publikum lesbar, dessen Anwesenheit immer über den Köpfen der Künstler hängt und dessen Aufmerksamkeit nadelspitz auf ihr Wirken gerichtet ist. Wenn der Virtuose eine Nadel nach der anderen pflückt, bleibt stets etwas (Lebens-)Faden daran hängen. Matteo Sedda steckt sich die Nadeln in seine zwiebelschalenhaft übereinander angezogenen Hüllen, die er Stück für Stück ablegt und schön vor dem Auditorium auflegt, bis er beinahe nackt ist. Im Vorspiel zum Faust sagt der Direktor: "Wird vieles vor den Augen abgesponnen, / So daß die Menge staunend gaffen kann."

Ans Licht gekommen

Anders als Ibsens Peer Gynt – "Nichts als Schichten ... / Die Natur ist ein Schalk! / Soll's der Teufel ausklügeln" – hat Goethes Pudel sehr wohl einen Kern. Wie Fabres Tänzer, der dem zwiebelrupfenden Gynt – "Kommt denn nicht einmal ein Kern ans Licht?" – zeigt, dass seine Metapher einen Bocksfuß hat. Als der Zwiebel Kern kommt bei Fabre der Körper in seiner ganzen Ausgefuchstheit ans Licht der Bühne. (Helmut Ploebst, 6.8.2018)