Herpesviren zeigen sich nicht nur an den Lippen, sondern können auch die Entwicklung von Nervenzellen im Gehirn stören, haben Wissenschafter aus Würzburg herausgefunden.

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Würzburg – Purkinje-Zellen sind ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Kleinhirns. Das ist jener Teil des Gehirns, das in erster Linie für motorisches Lernen und die Feinsteuerung von Muskeln und Bewegungen zuständig ist. Auch Gefühle, Wahrnehmung, Gedächtnis und Sprache werden von dieser Gehirnregion beeinflusst.

Wissenschaftler vom Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität Würzburg haben nun gemeinsam mit US-Kollegen eine überraschende Entdeckung in diesen Nervenzellen gemacht: Bei Patienten mit bipolaren und schweren depressiven Störungen fanden sie in Purkinje-Neuronen eine hohe Infektionsrate mit dem menschlichen Herpesvirus HHV-6.

"Es ist schon seit Längerem bekannt, dass erbliche Faktoren das Risiko erhöhen, an verschiedenen Arten psychiatrischer Störungen wie beispielsweise bipolaren Störungen, schwere Depressionen und Schizophrenie zu erkranken", erklärt Studienleiter Bhupesh Prusty. Daneben habe es allerdings immer wieder auch Hinweise darauf gegeben, dass Umweltfaktoren eine Rolle spielen können – vor allem, wenn sie in jungen Jahren eine Entzündung im Nervensystem verursachen. Viren sind ein solcher Umweltfaktor.

Viren verursachen Entzündungen im Gehirn

"Viren können die Entwicklung von Nervenzellen stören und die Interaktion mit dem Immunsystem in wichtigen Entwicklungsstadien behindern", erklärt Prusty. Wenn eine derartige Infektion in der frühen Kindheit auftritt, geht sie zwar in den meisten Fällen spurlos vorüber, allerdings verharren die Viren in verschiedenen Organen und Geweben, einschließlich des zentralen Nervensystems und der Speicheldrüsen, und werden unter bestimmten Umständen auch nach Jahren wieder aktiv.

Die Wissenschafter hatten die Vermutung, dass menschliche Herpesviren vom Typ HHV-6A und HHV-6B eine Schlüsselrolle bei der Entstehung psychiatrischer Störungen spielen könnten. Ihre These überprüften sie an zwei der größten menschlichen Hirnbiopsie-Kohorten des Stanley Medical Research Institute in den USA. Das Ergebnis: "Wir konnten bei Patienten mit bipolaren und schweren depressiven Störungen eine erhöhte Rate von aktiven Infektionen mit humanen Herpesviren vorwiegend in Purkinje-Zellen des menschlichen Kleinhirns nachweisen", sagt Prusty.

Die Forscher betonen, dass es sich um den ersten wissenschaftlichen Hinweis handelt, dass Viren des Typs HHV-6 Nervenzellen infizieren und möglicherweise kognitive Störungen verursachen können. Die Annahme, dass beim Menschen häufig vorkommende Viren, die unerkannt in Organen und Geweben "schlummern", nie für eine Krankheit verantwortlich sind, ist nach Ansicht der Wissenschaftler damit widerlegt. Zudem zeige eine andere aktuelle Studie, dass ein Zusammenhang zwischen einer Alzheimer-Erkrankung und humanen Herpesviren existiert. In einem nächsten Schritt wollen die Würzburger Wissenschaftler nun den molekularen Mechanismus entschlüsseln, mit dem die Herpesviren Schäden an Purkinje-Neuronen verursachen. (red, 8.8.2018)