Ein Radler brettert die Wiener Mariahilfer Straße hinunter und quert bei Rot die Straße. "Tschuldig'n ...", setzt Inspektor Sandro B. an und hebt den Zeigefinger der rechten Hand. "Könnten Sie bitte kurz stehen bleiben?" Der Wunsch des Polizisten bleibt unerhört, der Radfahrer fährt weiter geradeaus an ihm vorbei. "Okay", sagt Inspektor B., schnappt sich sein E-Bike und radelt hinterher.

Drei Beamte des Stadtpolizeikommandos Josefstadt, die auch für den siebenten Bezirk zuständig sind, haben sich in der Fußgängerzone der Mariahilfer Straße eingefunden, um eine Fahrrad-Schwerpunktkontrolle durchzuführen.

Fahrrad-Schwerpunktkontrolle der Wiener Radpolizei auf der Mariahilfer Straße.
DER STANDARD

Sie gehören zur seit 2008 bestehenden Wiener Fahrradpolizei, sind aber nicht jeden Tag und nicht ausschließlich mit dem Rad unterwegs. Vor allem bei Radkontrollen greifen sie selbst zum Drahtesel. Sie tragen immer einen Helm – und sind die Einzigen, denen im Dienst eine kurze Hose erlaubt ist. Rekrutiert werden interessierte Beamte in den Bezirken selbst. Hundert Polizisten und fünfzig Räder sind Teil der Radpolizei. Damit gibt es mehr Räder bei der Fahrradabteilung als Pferde bei der berittenen Polizei – wenn diese einmal installiert sein wird.

Ein Fahrradpolizist darf seinen Dienst in der kurzen Hose versehen. Strafen muss er trotzdem.
Foto: Andy Urban

Mehr Kontrollen im Sommer

Mittlerweile hat der Inspektor den Rennradler eingeholt. Er war in Gedanken versunken, hat die Aufforderung des Polizisten nicht gehört. Siebzig Euro muss er für sein Vergehen ablegen. Wäre er mit dem Auto über eine rote Ampel gefahren, müsste er in der Regel gleich viel zahlen. Wollte oder könnte er das Organstrafmandat nicht gleich bezahlen, wäre eine Anzeige die Folge gewesen. Dann hätte er auch die Möglichkeit gehabt, Einspruch zu erheben.

Viele Radler in Wien haben das Gefühl, dass in letzter Zeit öfter kontrolliert wird. Das stimmt auch, bestätigt Polizeisprecher Patrick Maierhofer. Vier große Schwerpunktkontrollen mit zwanzig Polizisten – davon zwei auf Motorrädern und vier auf dem Fahrrad – hat man seit Mitte Juni durchgeführt.

1.375 Organstrafmandate und 443 Anzeigen wurden verteilt. Hinzu kommen Kontrollen in den Bezirken. An der Spitze standen Strafen wegen der Missachtung von Rotlicht, dann folgen mangelnde Ausrüstung, das Befahren von Gehsteigen oder Telefonieren auf dem Rad. Nur ein geringer Anteil fährt alkoholisiert – bei über 0,8 Promille werden Strafen ab 800 Euro fällig.

Wer nicht genügend Bargeld bei der Hand hat, aber gleich bezahlen möchte, wird von Beamten zum Bankomat begleitet.
Foto: Andy Urban

Schwerpunkte und Vorwürfe

Drei Viertel der österreichischen Haushalte besitzen laut dem Verkehrsclub Österreich ein Fahrrad. In Wien liegt der Radverkehrsanteil bei sieben Prozent. Anderswo schneiden die Radler besser ab, zum Beispiel in Salzburg und Bregenz mit 20 Prozent oder in Innsbruck (17 Prozent) und Graz (15 Prozent).

"Manchmal fühlen sich Radfahrer bei Kontrollen schikaniert", sagt Matthias Pintner von der Radlobby, einer Interessenvertretung für Radfahrer. Grundsätzlich sei es gut, wenn die Polizei Gesetze kontrolliere. Aber ob Kontrollen in Fußgängerzonen Priorität haben sollen, stellt er infrage.

Man würde sich andere Schwerpunkte wünschen, wie Messungen von Überholabständen oder Tempokontrollen bei Autofahrern auf sogenannten Mischrouten, die von mehreren Fahrzeugen verwendet werden dürfen. Immer wieder wird der Polizei auch in sozialen Medien vorgeworfen, sich an neuralgischen Punkten aufzustellen, um "abzukassieren". Aufregung gab es vor ein paar Monaten, als die Polizei das Tempo von Radlern beim "Anfahren einer ungeregelten Radfahrerüberfahrt" gemessen hat, das zehn Stundenkilometer nicht überschreiten darf.

Man sei vor allem dort präsent, wo es viele Anrainerbeschwerden gebe, sagt Maierhofer: "Wer sich an die Verkehrsregeln hält, hat nichts zu befürchten."

Auch wenn man sich in puncto Ausrüstung bei Citybikes zumeist keine Gedanken machen muss, schützen sie nicht vor Strafen wegen anderweitigen Übertretungen.
Foto: Andy Urban

Auge zudrücken

Inspektor B. hält zwei weitere Herren an. Bei beiden fehlen die vorgeschriebenen Reflektoren, die an den Pedalen sowie vorn und hinten angebracht sein müssen. Einer hat Glück: Weil nur zwei Reflektoren fehlen, drückt der Beamte ein Auge zu und mahnt ab. Der Zweite muss zahlen.

Pintner von der Radlobby berichtet von Fällen, bei denen Radler für jedes einzelne fehlende Leuchtmittel (je 20 Euro) zur Kasse gebeten wurden. Das muss nicht bei jeder Kontrolle so streng gehandhabt werden: Er habe bei der Strafvergabe schon Spielraum, etwa wenn das Rad insgesamt in gutem Zustand ist, sagt der Beamte Sandro B. und verlangt für fehlende Reflektoren und Katzenaugen insgesamt 20 Euro. (Vanessa Gaigg, 9.8.2018)