Frei nach Karl Kraus: In einem Land, in dem die medienpolitische Sonne tief steht, werfen selbst Riesen kurze Schatten. Im Bild: Matthias Döpfner auf der Medienenquete im Juni in Wien.

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Anfang Juni gab Medienminister Gernot Blümel den Auftakt zu einer medienpolitischen Offensive. Zu der breit angelegten Medienenquete war eingeladen, wer Rang und Namen hat. Die Keynote hielt ausgerechnet der deutscher Medienmacher Mathias Döpfner, dessen Axel-Springer-Konzern (unter anderem "Bild"-Zeitung) sich damit brüstet, immer größere Umsatzanteile aus E-Commerce-Geschäften zu erwirtschaften und immer weniger mit Publizistik.

Als Ministereinflüsterer gab sich Markus Breitenecker zu erkennen, der zum österreichischen Schulterschluss gegen Google und vor allem Facebook aufrief. Als ersten Schritt empfahl Breitenecker, Facebook mit einem Entzug medialer Inhalte zu ächten. Fast könnte man meinen, es sei diese Fatwa aus dem Media Quarter in Wien-Landstraße gewesen, die im Sommer den Aktienkurs von Facebook so in den Keller hat rasseln lassen.

So relevant die globalen Intermediäre auch sein mögen, die medienpolitischen Hausaufgaben liegen viel näher als im heldenhaften Kampf österreichischer Zwerge gegen Google und Facebook. Vor der Haustüre wartet die Aufgabe, ein Gesetz für elektronische Medien zu entwerfen, das der Digitalisierung der ganzen Branche angemessen Rechnung trägt. Wie das Bekenntnis des Ministers zur Relevanz des öffentlichen Rundfunks in Österreich konkret in ein neues Gesetz überführt werden soll, war bei der Medienenquete nicht zu erfahren.

Blick in den Westen

Seither hat sich das Team des Kanzleramts- und Medienministers einer anderen dringenden Baustelle zugewandt, nämlich der EU-Präsidentschaft Österreichs von Juli bis Dezember 2018. Die Medienpolitik scheint einstweilen zu ruhen.

Das Nicht-EU-Mitgliedsland Schweiz muss sich von solchen Ablenkungen nicht bremsen lassen. Mit derselben Digitalisierungsherausforderung konfrontiert, hat die zuständige Medienministerin Doris Leuthard keine Enquete abgehalten, sondern am 20. Juni 2018 einen Vorschlag für ein neues Gesetz für elektronische Medien auf den Weg gebracht. Österreich könnte vor allem bei der generellen Stoßrichtung etwas lernen.

Der Entwurf eines "Bundesgesetzes über elektronische Medien" sieht vor, die Staatsferne der Medien noch weiter auszubauen und die Regulierung technologieneutral auszugestalten. Beides sind zentrale Bausteine einer zukunftsfähigen Medienpolitik unter digitalen Vorzeichen.

Was die Ministerin unter Staatsferne versteht, verschlägt dem österreichischen Beobachter schier die Sprache. Bisher erteilt die Regierung dem öffentlichen Veranstalter SRG SSR die Konzession, entsendet Vertraute in dessen Verwaltungsrat und legt die Höhe der Fernseh- und Radiogebühren fest. Davon soll in Zukunft nur die Gebührenfestsetzung bleiben. Auf das Recht, den Verwaltungsrat zu beschicken, will die Regierung verzichten, und die Erteilung der Konzession soll an eine unabhängige Behörde übertragen werden, die "Kommission für elektronische Medien" (Komem).

Diese Kommission ist nicht weisungsgebunden und soll aus ausgewiesenen Fachleuten bestehen. Sie vergibt nicht nur die SRG-SSR-Konzession, sondern sie schließt auch Leistungsvereinbarungen mit privaten Veranstaltern ab, die dafür einen Anteil (sechs Prozent) der Radio- und Fernsehgebühren erhalten. Weitere zwei Prozent soll die Komem an Einrichtungen der Selbstregulierung (z. B. Presserat), an Nachrichtenagenturen und für Aus- und Weiterbildung aufwenden.

Markt und Wettbewerb

Wer in der Schweiz Radio und Fernsehen betreibt und auf öffentliche Finanzierung verzichtet, ist im Rahmen der allgemeinen und Europäischen Gesetzgebung frei in der Programmgestaltung. Für solche Veranstalter zählen nur die Regeln von Markt und Wettbewerb.

Auf Österreich übertragen würde das bedeuten, mit einem gesetzgeberischen Federstrich die epischen Diskussionen um die Zusammensetzung des ORF-Stiftungsrats schlagartig und abschließend zu beenden: keine Parteienvertreter mehr, keine Ländervertreter, keine Regierungsvertreter. Dafür Fachleute, die von Fernsehen, Radio und Online-Medien etwas verstehen. Für eine derart mutige und für die demokratische Rolle der Medien so wichtige Entscheidung ist allerdings eine für österreichische Verhältnisse kaum vorstellbare politische Reife notwendig.

Online-Inhalte förderbar

Neu soll in der Schweiz kein gesetzlicher Unterschied mehr gemacht werden zwischen den Übertragungswegen der Signale – einerlei ob terrestrisch, via Satellit oder über das Internet. Audiovisuelle Online-Inhalte sollen in Zukunft genauso behandelt werden wie lineares Radio und Fernsehen. Damit will der Schweizer Gesetzgeber die Medienregulierung auf die Höhe der (digitalen) Zeit bringen. Wer also demokratierelevante audiovisuelle Internetdienste erbringt, kann eine Leistungsvereinbarung mit der Komem abschließen und dafür Förderung erhalten.

Die medienpolitische Stoßrichtung des Schweizer Entwurfs sollte auch für Österreich ein Vorbild darstellen. Der radikale Rückzug der Politik aus den Gremien und aus der Arbeit der elektronischen Medien erscheint in Österreich wie eine schöne Halluzination – unser westlicher Nachbar setzt hier ein starkes demokratiepolitisches Signal. Ebenso sollte sich Österreich ein Beispiel bei der Technologieneutralität nehmen. Online-Medien verdienen aufgrund ihrer intensiven Nutzung dieselbe medienpolitische Aufmerksamkeit wie Radio und Fernsehen.

Digitale Windmühlen

Statt sich im Kampf gegen die globalen digitalen Windmühlen zu erschöpfen, ist die österreichische Bundesregierung gut beraten, sich den konkreten Aufgaben der digitalen elektronischen Medienwelt zu stellen. Einmal mehr ist uns die Schweiz einen großen Schritt voraus. (Josef Trappel, 9.8.2018)