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Vollverschleierte Frauen würden einem "Briefkastenschlitz" und "Bankräubern" gleichen, ätzte der britische Ex-Außenminister.

Foto: REUTERS/Peter Nicholls

Statt über den Brexit diskutiert das politische London über das Verhältnis der großen Parteien zu ethnischen und religiösen Minderheiten. Bei der Labour-Opposition geht der Streit um die Haltung zum Antisemitismus bereits in den zweiten Monat. Nun hat Boris Johnson eine Kontroverse über verhüllte Musliminnen vom Zaun gebrochen. Parteifreunde und Islam-Vertreter kritisierten den Ex-Außenminister wegen Unsensibilität oder gar wegen offenen Rassismus; von Premierministerin Theresa May hieß es, sie wünsche sich eine Entschuldigung.

In seiner Kolumne für den Daily Telegraph, für die er zuletzt 278.000 Euro jährlich erhielt, widmete sich Johnson dem in Dänemark in Kraft getretenen Verbot von Burka und Nikab – also der religiös motivierten Vollverschleierung von Frauen. Er lehnte dieses Verbot für Großbritannien zwar ab, bezeichnete die Verschleierung aber als "repressiv und lächerlich". Vollverschleierte Frauen glichen einem "Briefkasten" oder "Bankräuber". Dennoch bleibe der Schleier das Recht "einer in Freiheit geborenen Erwachsenen", so Johnson.

Ähnliche Debatten hat Großbritannien immer wieder geführt. Einer von Johnsons Vorgängern als Außenminister, Labour-Mann Jack Straw, berichtete aus seinem Wahlkreis, er bestehe bei persönlichen Gesprächen darauf, das Gesicht seines Gegenübers zu sehen. An Schulen, Universitäten und im Gerichtssaal kam es immer wieder zu schwierigen Einzelfällen. Die Zahl der vollverschleierten Musliminnen wird auf 10.000 bis 40.000 geschätzt – bei einer Gesamtzahl von rund 1,5 Millionen Frauen also zwischen 0,6 und 2,6 Prozent.

Johnson war Journalist

Dass jetzt prominente Konservative auf Johnson einprügeln, am Donnerstag sogar ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, hat mit den provokanten Formulierungen des gelernten Journalisten und mit seiner Person zu tun. Bei Parteifreunden steht der einst als liberal geltende Londoner Ex-Bürgermeister unter dem Verdacht, er wolle sich als Anführer des rechten Parteiflügels positionieren und mit Populisten wie Donald Trump gemeinsame Sache machen.

Der frühere Generalstaatsanwalt Dominic Grieve teilte mit, der Fraktionskollege tauge nicht zum Premierminister: "Sollte er jemals Parteivorsitzender werden, wäre meine Mitgliedschaft beendet."

Während der Oxforder Imam Taj Hargey Johnson in Schutz nahm (" berechtigte Kritik"), schloss sich die jüdische Wochenzeitung Jewish Chronicle der Schelte an: Der Konservative habe "geredet wie am Stammtisch. Unsere Gemeinschaft ist zu Recht sensibel, was Ton und Nuance angeht."

Diese Maxime gilt auch für das Verhältnis der rund 300.000 britischen Juden zur Labour-Partei. Als deren Parteivorstand eine international gebräuchliche Definition von Antisemitismus nicht wortgetreu in ein neues innerparteiliches Regelwerk übernehmen wollte, bezeichneten alle drei jüdischen Wochenzeitungen des Landes vergangenen Monat eine allfällige Corbyn-Regierung "als existenzielle Bedrohung für jüdisches Leben in diesem Land".

Der Linksaußen Corbyn sowie seine Berater stören sich an einigen Erläuterungen zur 2016 von der Allianz zur Erinnerung an den Holocaust (IHRA) verabschiedeten "Arbeitsdefinition" von Antisemitismus. Dort heißt es unter anderem, "die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen", müsse als antisemitisch gelten.

Genau diese Meinung hat aber beispielsweise Corbyns Spindoktor Seumas Milne früher als Guardian-Kolumnist vertreten. Offenbar fürchtet die Corbyn-Fraktion, eine Israel-freundlichere Parteispitze könnte das Regelwerk zu ihrer Disziplinierung verwenden.

Der Politikprofessor Anthony Glees von der Uni Buckingham, ein Kritiker Corbyns, hat eine andere Erklärung: Der Labour-Parteivorstand wolle sich mit einer ambivalenten Haltung zum Antisemitismus "die Stimmen der drei Millionen Muslime sichern".

Entspannung im innerparteilichen Streit brachte diese Woche die Niederschlagung eines Disziplinarverfahrens gegen die jüdische Abgeordnete Margaret Hodge. Diese hatte Corbyn öffentlich als "Rassisten und Antisemiten" bezeichnet; bis zu zwölf Labour-Abgeordnete hatten intern gedroht, sie würden notfalls mit Hodge die Partei verlassen.

Der Publizist Nick Cohen twitterte sarkastisch zu den Debatten in den Parteien: "Wenn Sie Moslems hassen, wählen Sie Tory. Wenn Sie Juden hassen, wählen Sie Labour. Was für ein Land." (Sebastian Borger aus London, 10.8.2018)