In den kommenden Monaten müssen viele Österreicher mit türkischen Wurzeln mit Behördenpost rechnen.

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18.000 türkisch-stämmigen Wienern droht rückwirkend der Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft, falls sie nach der österreichischen auch die türkische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Im Magistrat wird jeder einzelne Fall genau geprüft.

ORF

Wien – Für die ausgebürgerten Austrotürken will derzeit niemand so recht zuständig sein. Kaum jemand möchte sich äußern. Das türkische Konsulat verweist auf die türkische Botschaft. Die türkische Botschaft verweist auf das türkische Konsulat. Auf Nachfrage bei Atib, dem türkisch-islamischen Dachverband, der enge Verbindungen in die offizielle Türkei pflegt, wird dem STANDARD empfohlen, sich an die türkische Botschaft zu wenden. Oder an das Konsulat.

Kickl nicht erreichbar

Wiens Integrationsstadtrat Jürgen Czernohorszky ist nicht erreichbar. Im Büro von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) wird auf das Innenministerium verwiesen. Auch im Justizministerium erhält der STANDARD die Auskunft, dass das Innenressort zuständig wäre, sollte es gesetzliche Änderungen geben. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ)? Seine Sprecherin ruft nicht zurück.

Tausende Austrotürken bangen derzeit um ihren Status. In vier Fällen wurde die Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft bereits von den Verwaltungsgerichten bestätigt. Grund sind illegale Doppelstaatsbürgerschaften. Den Betroffenen wird vorgeworfen, auch einen türkischen Pass zu besitzen und das den Behörden hierzulande verheimlicht zu haben. Doppelstaatsbürgerschaften sind bis auf Ausnahmen in Österreich verboten.

Funk: "Letztes Wort nicht gesprochen"

Der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk bezweifelt nun aber die Endgültigkeit der Urteile: Sie seien ohne tatsächliche Beweise gefällt worden, nur auf Grundlage von Annahmen. Funk vermutet, "dass das letzte Wort noch nicht gesprochen" sein dürfte, wenn Betroffene die Höchstgerichte anrufen. Der Entfall der österreichischen Staatsbürgerschaft hätte rigorose, unverhältnismäßige Folgen für die Austrotürken, meint Funk. Von Abschiebung wären die meisten Betroffenen zwar nicht bedroht, weil sie schon lange hier leben. Aber ihre Existenz könnte völlig zerrüttet werden, sie könnten Beruf, Vermögen oder die Wohnung verlieren.

Birol Kilic, Obmann der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich, warnt seit langem vor möglichen Aberkennungen. Schon vor Monaten habe er in türkischen Zeitungen über die Situation in Österreich aufgeklärt und verbreitet, dass Doppelstaatsbürgerschaften verboten sind.

Nichts von Zweitpass gewusst

Nun vermittelt er Betroffene an spezialisierte Anwälte und versucht zur Beruhigung beizutragen: "Viele erzählen mir, dass sie von ihrer türkischen Staatsbürgerschaft gar nichts wussten. Jetzt sind sie verunsichert und traurig", sagt Kilic. Man müsse aufpassen, was sich da zusammenbraue – auch weil die "antitürkische Stimmung" in Österreich zunehme. An die Politik appelliert er, "in aller Freundschaft" eine vernünftige und humane Lösung zu finden. "Es gibt auch viele Doppelstaatsbürger mit anderen Nationalitäten. Und das findet man auch nicht so teuflisch." (Katharina Mittelstaedt, Muhammed Özdemir, 10.8.2018)