"In meinen Fotografien spüre ich dieses Glück, diesen absurden Moment des Innehaltens."

Foto: Willy Puchner

Der Mensch jagt die Tiere, zähmt, züchtet oder schlachtet sie. Er nimmt sie gefangen, domestiziert und verspeist sie, tötet sie langsam oder schnell und hat wegen ihres Tods oft schon geweint. Er quält, missachtet oder massakriert sie, benützt sie als Packesel oder als Zugtier. Sie wurden seine Versuchskaninchen, seine Schauobjekte und Metapher für seine bunte Sprache.

Er macht sie zu seinen Freunden, streichelt, krault und liebkost sie. Manchmal ist er mit ihnen eingeschlafen. Er beobachtet und dressiert sie, führt sie an der Leine, sperrt sie in Käfige. Er pflegt und füttert sie, begleitet sie ein Leben lang und macht sie zu seinen Spielgefährten. Mit wenigen reist er zu Schönheitswettbewerben und ist stolz auf die kleinen, gehorsamen Wesen.

Raffiniert schmückt er sich mit Trophäen, hortet Pokale, Orden und Urkunden. Er erzählt über sie Geschichten, wahre und erlogene, verklärt sie zu Märchenfiguren und verleiht ihnen als Fabelwesen Ansehen. Er studiert und systematisiert sie, teilt sie in Gattungen, Klassen und Familien ein, schreibt hunderttausende Bücher über sie, erklärt sie zu Göttern oder hat sie den Göttern geopfert.

Flauschige Vervielfältigung

Er zieht ihnen das Fell ab, verarbeitet sie zu Schmuck, stopft sie aus und legt sie in Formalin ein. Seit kurzem beginnt er, sie zu klonen. Er modelliert sie, erschafft sie neu, macht sie zu menschenähnlichen Kreaturen, weich und flauschig vervielfältigt er sie millionenfach, und manch einer ist mit ihnen in die Stadt oder aufs Land unterwegs oder um die Welt gereist.

Der Mensch zeichnet, malt, filmt und fotografiert sie. Was für eine Illusion? Will er ihnen ein ewiges Leben geben? Am glücklichsten aber ist er, wenn er einem Tier für Sekunden in die Augen blickt, wenn er sich auf außergewöhnliche Art mit ihm verbunden fühlt, für die Begebenheit keine Worte findet und es augenblicklich still wird. Kein Laut. Keine Bewegung. Nur noch Verbeugung.

In meinen Fotografien verspüre ich dieses Glück, diesen absurden Moment des Innehaltens. Meine Bühne zeigt die alltägliche Welt der Tiere. Es sind Haustiere und Nutztiere, denen ich folge, Räuber und Opfer, lebendige oder tote, niedere und höhere Kreaturen. Als Fotograf schleiche ich durch die Arena wie ein Raubtier auf Beutefang. Als Reisender zügle ich meine Gier und Unruhe. Mit offenen Augen, wach, neugierig und fieberhaft sammle ich Bilder und Begebenheiten. Meist löst sich mein Zustand, indem ich das nächste Tier fotografiere, als könnte ich einen Baustein zu meinem Mosaikbild hinzufügen. (Willy Puchner, 11.8.2018)