"Dieses Modell würde eine gerechtere Schulfinanzierung und Chancengerechtigkeit, unabhängig vom Einkommen der Eltern, schaffen", sagt AK-Präsidentin Renate Anderl zum Chancen-Index.

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Laut einer aktuellen Analyse des Instituts für Höhere Studien (IHS) erhalten just jene Schulen mit besonders großen Herausforderungen zu wenige Mittel. Dazu kommt eine Schieflage zwischen ländlichen und demografisch bedingt stärker belasteten städtischen Standorten, zeigte IHS-Experte Lorenz Lassnigg im STANDARD auf. Mit Blick auf die intransparenten, föderal verwickelten Finanzierungsströme nannte die IHS-Analyse "die Verteilung der Ressourcen das wesentliche bildungspolitische Problem". Besonders belastete Schulen müssten mehr Ressourcen bekommen.

Gleiche Basismittel für alle

Wie aber soll das geschehen, ohne jemanden zu benachteiligen? "Indem die Schulen zusätzlich zu einer fairen Basisfinanzierung, die für alle gleich ist, einen Zuschlag bekommen, der Rücksicht nimmt auf die unterschiedliche Zusammensetzung der Schülerschaft", erklärt Bildungssoziologe Philipp Schnell von der Arbeiterkammer (AK) Wien.

Die AK hat dazu ein Modell entwickelt und durchgerechnet. Für jede Pflichtschule in Österreich soll ein "Chancen-Index" den jeweiligen Förderbedarf ausweisen: Wichtigste Voraussetzung für das Modell, das in den Niederlanden seit 25 Jahren, aber auch in Hamburg angewendet wird und die Leistungsdifferenzen reduziert hat: "Wir brauchen dafür mehr Mittel, um keiner Schule etwas wegzunehmen, denn mit Umverteilen alleine ist das nicht zu finanzieren", betont Schnell. Pro Jahr wären 300 Millionen Euro nötig, um die ungleichen Belastungen der Schulen auszugleichen.

So könnte man eine "gerechtere Schulfinanzierung und Chancengerechtigkeit, unabhängig vom Einkommen der Eltern", schaffen, sagte AK-Präsidentin Renate Anderl zum STANDARD.

"Ungleich belastet"

Was bedeutet "ungleich belastet" eigentlich? Das heißt, dass es einen Unterschied macht, wenn eine Schule viele Kinder zu betreuen hat, deren Eltern über weniger formale Bildung verfügen oder die nicht deutscher Muttersprache sind. "Das verlagert den Druck in die Schulen", sagt Soziologe Philipp Schnell. Unter den jetzigen Bedingungen bedeutet das etwa, dass Kinder von Eltern mit maximal einem Pflichtschulabschluss gegenüber Akademikerkindern nach acht Schuljahren um 27 Lernmonate, also ungefähr drei Lernjahre, zurückliegen.

Auch die Schulabschlüsse zeigen einen engen Zusammenhang mit dem Bildungsgrad der Eltern. Während 54 Prozent der Kinder von Eltern mit Uniabschluss ebenfalls Akademiker werden, schaffen diesen höchsten Bildungsgrad nur sechs Prozent der Kinder von Pflichtschulabsolventen. – Nicht, weil sie von Haus aus dümmer sind, sondern weil sie von zu Hause nicht die Unterstützung bekommen (können), die Kindern höher Gebildeter zuteilwird – und weil es die Schule mit den vorhandenen Ressourcen derzeit nicht schafft oder schaffen kann, diese Kinder angemessen zu fördern.

Bildung der Eltern und Umgangssprache

Da setzt die Idee des Chancen-Index an. Um die Schulen zu identifizieren, die mehr Förderbedarf haben und mehr Mittel brauchen, hat die AK die österreichische Bevölkerungsstatistik mit Blick auf den Bildungshintergrund der Eltern (stärker gewichtet) und die Umgangssprache analysiert.

Das Ergebnis ist ein siebenstufiges Clustermodell, in das jede Pflichtschule nach ihrem Förderbedarf eingeordnet wird – von Stufe 1 mit sehr wenigen Kindern mit Förderbedarf bis 7 mit sehr vielen Kindern mit sehr hohem Bedarf. Je höher der Förderbedarf, desto höher ist der Zuschlag. Demnach fallen in die Förderstufen 1 und 2 etwa 13 Prozent aller Pflichtschulen, in die Stufen 5, 6 und 7 17 Prozent. 70 Prozent gehören in Stufe 3 und 4 mit einer gut durchmischten Schülerpopulation.

Umgelegt auf Schulformen (siehe Grafik) zeigt sich, dass es in drei Vierteln aller Volksschulen im mittleren Bereich eine recht gute Durchmischung gibt, mehr als ein Zehntel muss jedoch sehr viele Kinder mit sehr hohem Förderbedarf betreuen.

"Keine Schule verliert etwas"

In den Neuen Mittelschulen (NMS) fällt auf, dass nicht einmal ein Prozent in den "problemlosen" Stufen 1 und 2 rangiert. Umgekehrt sieht die Situation in der AHS-Unterstufe aus. Neun von zehn Standorten fallen zwar in die ersten vier Stufen mit vergleichsweise geringem Förderbedarf, allerdings gibt es auch in diesem Segment sehr ungleiche Rahmenbedingungen, fast jede zehnte AHS gehört zu den förderbedürftigsten Clustern 5 bis 7. Insgesamt bekämen also auch neun von zehn AHS mehr Ressourcen, denn laut Schnell sieht das Indexmodell Zuschläge ab Stufe 2 vor: "Alle würden profitieren. Keine Schule verliert etwas."

Gemäß dieser indexbasierten Finanzierung müssten die Volksschulen künftig um 3100 Vollzeitposten (plus zwölf Prozent, ob Lehrkräfte, Sozialarbeiter oder Psychologinnen, sollten sie selbst entscheiden können), die NMS um 2400 Stellen (plus zehn Prozent) aufgestockt werden. Auf die Bundesländer umgelegt läge der Personalzuwachs im Volksschulbereich – abhängig von der Schülerpopulation – zwischen plus drei Prozent im Burgenland und plus 31 Prozent in Wien bzw. in der NMS von drei Prozent mehr in Kärnten bis zu plus 35 Prozent in Wien.

Geld nur gegen Qualitätsplan

Wichtiges Detail: Einfach nur so mehr Ressourcen würde es nicht spielen. Die Schulen müssten dafür etwas tun: ein Schulstandortkonzept mit aktiven Schulentwicklungsplänen vorlegen, denn so Schnell: "Zusätzliche Mittel alleine bewirken noch nichts."

Die SPÖ forderte erst unlängst 5000 zusätzliche Lehrkräfte für "Brennpunktschulen". Bildungsminister Heinz Faßmann äußerte ebenfalls bereits "Sympathie" für die Einführung eines Sozialindex. (Lisa Nimmervoll, 13.8.2018)