Im winzigen Fürstentum ist Platz knapp und daher teuer. Die Gegend eignet sich aber hervorragend für den Anbau von Gemüse, weil das Klima mild ist und die Temperaturen nie unter null Grad fallen.

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Auf dem Tour Odéon mit dem vermutlich teuersten Penthouse der Welt kümmert sich Jessica Sbaraglia um einen Gemüsegarten und einen Hühnerstall.

Foto: Sascha Rettig

Jessica Sbaraglia (30) hat das Label Terre de Monaco gegründet.

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Das Konzept von Terre de Monaco in einem Film zusammengefasst.

Sbaraglia Jessica

Ein paar Mal in der Woche holt sich Jessica Sbaraglia die fahrbare Treppe, schiebt sie an die Mauer und steigt über die schmalen Stufen hinauf auf ihre grüne Insel. Auf 400 Quadratmetern pflegt sie dann ihre Beete, gießt die Pflanzen, jätet Unkraut, erntet Obst und Gemüse. Sie betreibt eine Landwirtschaft, wo man es am wenigsten erwartet: Ihr Garten liegt auf dem Gelände des luxuriösen Monte Carlo Bay Hotel über einem Konferenzsaal, wo früher nur ein paar Büsche standen.

Während die Hotelgäste frühstücken oder mit ihren Koffern vorbeirollen, können sie die Schweizerin bei der Arbeit beobachten. Der Hotelgarten gehört zu ihrem Start-up Terre de Monaco, mit dem sie seit zwei Jahren urbane Landwirtschaft in dem Fürstentum entwickelt.

Flachdachbewirtschaftung

Sicher, auch vor diesem Projekt war Monaco keine Stein- und Betonwüste. Der Stadtstaat ist in den vergangenen Jahren – auch auf Wunsch und mit der Unterstützung von Fürst Albert II. – grüner geworden. Vielerorts stößt man auf Parks, Bäume, staatliche Grünanlagen und Dachgärten, es gibt einen Rosengarten in Erinnerung an Grace Kelly. Landwirtschaft wurde in Monaco allerdings lange Zeit nicht betrieben. Weit über 100 Jahre nicht, meint Sbaraglia.

Als das ehemalige Model all die freien Flächen auf den Flachdächern sah, kam ihr die Idee, sie zu bewirtschaften. "Anfangs haben mich alle für verrückt erklärt, denen ich von meinen Plänen erzählt habe", erzählt die 30-Jährige. Doch Sbaraglia verfolgte sie hartnäckig. Sie suchte auf Google Maps nach Freiflächen, die für die Landwirtschaft infrage kommen könnten, klopfte bei Hotels und den Besitzern von Wohnhäusern an und stieß nach und nach auf Interesse. Das Startkapital von 25.000 Euro bekam sie durch eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne zusammen.

Fürstliche Beete

Fünf Gärten betreibt Sbaraglia mittlerweile, die zwischen 30 und 450 Quadratmeter groß sind. Der kleinste, ihr erster, befindet sich bei der Fondation Prince Albert II, der Fürst kam persönlich zur Einweihung. Den größten betreibt sie auf dem Tour Odéon, einem neuen Wohnhochhaus, dessen Penthouse mit einem Preis von rund 300 Millionen Euro für 3.300 Quadratmeter das teuerste Apartment der Welt sein soll. Ganz unten ist der Ausblick zwar begrenzter, aber leistbar: Sbaraglia bezahlt ihn mit ein paar Eiern – von den 20 Hühnern, die im Garten nebenan wohnen. Der Garten wurde ganz nach ihren Vorstellungen über mehrere Terrassen angelegt. Zwischen Feigen- und Pfirsichbäumen, Bienenstöcken und dem Hühnerstall baut sie unter anderem Paradeiser, Erdbeeren, Granatäpfel und Basilikum an – ganzjährig, weil das Klima mild ist und die Temperaturen nie unter null Grad fallen.

Die Anlage ist reiner Luxus im winzigen Fürstentum, wo Platz chronisch knapp und teuer ist. Doch Sbaraglia zahlt keinen Cent für die Gärten, keine Miete, keine Pacht. Vielmehr wird die Wahl-Monegassin bezahlt für ihre Arbeit und ihre begehrten Erzeugnisse, die sie an die Bewohner der Wohnhäuser oder im Hotel verkauft. Im Monte Carlo Bay schaut regelmäßig Sternekoch Marcel Ravin vorbei, der nebenan im Restaurant Blue Bay kocht und für den das Gemüse in der Küche an erster Stelle steht. Für sein Menü "Table de Marcel" verwendet er sogar nur Gemüse aus Jessicas Garten – 14 Gänge kosten 520 Euro für zwei Personen.

Klischees, die stimmen

Um von einem Garten zum anderen zu kommen, braust Sbaraglia mit ihrem winzigen Elektrolieferwagen durch die Straßen von Monaco. Auf der Ladefläche schaukeln Blumentöpfe und ein paar Setzlinge hin und her. Die elegante Handtasche, die dazwischen steht, wirkt wie ein Überbleibsel aus einem Leben davor. Früher hatte sie bei der Arbeit keine Erde unter den Fingernägeln. Früher war sie Model, hatte Aufträge in Mailand, Berlin, Paris. Nach nur einem Jahr machte sie wieder Schluss damit.

"Alles, was man über die Mode- und Modelszene sagt, ist wahr. Jedes Klischee stimmt", sagt die blonde Schweizerin, die ursprünglich aus der kleinen Stadt Delsberg in der Nähe von Basel stammt und Wirtschaft, später noch Design studierte. 2010 kam sie für ein Studienprojekt nach Monaco. Sie blieb im Fürstentum und zog mit einem Designerzentrum ein eigenes Geschäft auf. "Ich hatte alles, war aber nicht glücklich", erinnert sie sich.

Essbare Blumen

Das änderte sich mit Terre de Monaco. Gärtnern mache sie nachhaltig glücklich: "Es ist eine Leidenschaft und keine Arbeit", sagt sie, während sie die Beete entlangspaziert und ein paar Erbsen und essbare Blumen pflückt, die sie enthusiastisch zum Kosten entgegenstreckt. Zwei Jahre lang war sie regelmäßig in Nordfrankreich auf einem Bauernhof, um alles Wichtige über die Gartenarbeit zu lernen. Vorher hatte sie mit Pflanzen nur auf ihrem Balkon zu tun. Sich um das karge Grün zu kümmern war für sie wie Therapie, wie Meditation. "Es erinnerte mich an den kleinen Garten meiner Eltern und daran, wie gut das Gemüse geschmeckt hat, das dort wuchs." Diese Erinnerungen waren damals Antrieb für den Jobwechsel.

Mittlerweile produziert Sbaraglia in ihren Gärten ordentliche Mengen, alles bio: 2017 war es eine Tonne Gemüse, die Hühner legten 965 Eier. Zum Teil baut sie alte Sorten an, die fast vergessen sind. Als Dünger verwendet sie unter anderem den Kot von Meeresschildkröten, den sie aus dem Musée Océanographique bekommt. So wie ihre Pflanzen gedeihen, wächst auch ihr Unternehmen.

Expansion nach Frankreich

Samstags geht die Gärtnerin auch auf den Marché de la Condamine, den zentralen Markt am Fuße des Felsens, auf dem der Fürstenpalast thront, um ihre Ware anzupreisen. In ihren Gärten wiederum arbeitet sie im Rahmen eines therapeutischen Projekts mit psychisch kranken Menschen oder erklärt Schülergruppen, wie die Gärtnerei funktioniert. Touristen können Kurse – etwa über essbare Blüten – bei ihr belegen oder ein Essen buchen, das sie mit ihren Erzeugnissen zubereitet. Auch in anderen Städten möchte sie Konzepte für urbanes Garteln entwickeln und dafür als Beraterin zur Verfügung stehen.

Aktuell hat sie zwei Angestellte, und sie will noch weiter wachsen. "Ich suche ständig nach neuen Gärten", erzählt sie. Den nächsten hat sie schon gefunden. Das Gemüse wird allerdings nicht das Label Terre de Monaco tragen können: Der Garten liegt hinter der Grenze, in Frankreich. (Sascha Rettig, RONDO, 17.8.2018)