Die Debatte über Kopftücher wirft kurze Schatten. Das helle Licht der Aufklärung kann wenig dafür.

Foto: Christian Fischer

Seit Jahren diskutieren wir über Kopftuchverbote. Dabei kommen in erster Linie vermeintliche "Experten" zu Wort, kaum aber betroffene Frauen. Wenn sie einmal selber öffentlich sprechen dürfen, dann in einer Rechtfertigungsposition stehend, und irgendwann wird ihnen vorgeworfen, sich in eine "Opferrolle" zu begeben. Manche dieser vermeintlichen Experten stammen auch aus Minderheitengruppen, die sie verlassen und durch Übernahme von "Argumenten" von Multikultikritikern versuchen, einen höheren Status einzunehmen, wie es auch Friedrich Heckmann, Leiter des europäischen Forums für Migrationsstudien in Bamberg, beschreibt.

Als Muslimin nutze ich die Möglichkeit, mich hier zu äußern, eine neue Perspektive zu eröffnen und dabei nicht übliche Fragen zu beantworten, die schon vielfach in Studien beantwortet wurden wie z. B.: Warum ich ein Kopftuch trage oder ob ich unterdrückt sei.

Aktuell wird das Kopftuchverbot an Kindergärten und Schulen diskutiert. Dass es keine Zahlen darüber gibt, scheint unwichtig zu sein – wie es in der Diskussion um das Niqab-Verbot zuvor war, das letztlich durchgesetzt wurde. Faktum ist nur, dass es kaum Kinder gibt, die in diesem Alter ein Kopftuch tragen.

Es ginge um das Wohl muslimischer Mädchen, sagen Regierungsvertreter. Gleichzeitig aber beschließen sie Deutschförderklassen, in denen Exklusion und Ausgrenzung stattfinden. Kinder sollen auch räumlich in soziale Klassen eingeteilt werden. Gleichzeitig gibt es Kürzungen in den Bereichen Bildung, Kinder und Frauen. Handeln und Sprechen der Regierung sind damit unglaubwürdig. Es wird eine polarisierende und populistische Scheindebatte geführt, die Vorläuferin weiterer Verbote.

Bekleidungsvorschriften für erwachsene Frauen

Fast im selben Atemzug sprechen Kurz und Strache von einem allgemeinen Kopftuchverbot, einem für Lehrerinnen, im öffentlichen Dienst und an Universitäten. Wir steuern auf Bekleidungsvorschriften für erwachsene Frauen zu. Michael Köhlmeier sagte in seiner vielbeachteten Rede zum Gedenktag: "Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung."

Als Muslimin und Mutter eines Mädchens möchte ich eine andere Perspektive aufzeigen: Viele muslimische Mütter stehen dem freien Willen ihrer Kinder im Weg, indem wir sie immer wieder davon abbringen, ein Kopftuch in der Öffentlichkeit zu tragen – und sei es nur im Spiel. Vorverurteilungen von Unbekannten auf der Straße lassen nicht lange auf sich warten. Man würde mir vorwerfen, meine Tochter zu etwas zu zwingen. Jeder auf der Welt glaubt, sich mehr um mein Kind zu sorgen als ich – das ist eine Anmaßung. Kürzlich bemitleidete eine Dame laut meine Tochter: Bestimmt würde ich sie bald zu einem Kopftuch zwingen. Was Regierungsmitglieder und "Experten" in diesem Diskurs sagen, muss ich mir im Alltag anhören.

Kinder kleiden sich, wie sie wollen: bunt, einfarbig, mit oder ohne Kreuz, kurz oder lang, Kippa oder mit Turban der Sikhs. Alles ist erlaubt, aber das Kopftuch nicht? Wie kann man einem Mädchen, das freiwillig und gern ein Kopftuch trägt, erklären, dass sie das nicht mehr darf? Soll man Klartext sprechen und sagen: Für Musliminnen gelten andere Regeln?

Verantwortungslose Debatte

Freie Entfaltung, Selbstbestimmung und Integration durch Verbote erreichen zu wollen ist ein Widerspruch in sich. Jedes Kind, jeder Mensch sollte selbst über den eigenen Körper entscheiden dürfen. Wir können und sollen über Kleidung und Sexismus diskutieren, aber nur das muslimische Kopftuch herauszupicken und es zu kriminalisieren ist Brandstiftung in einer ohnehin angespannten Stimmung. In Anbetracht steigender Übergriffe auf Musliminnen ist die Debatte verantwortungslos und befördert weitere Gewalt, sowohl von Rechten als auch von radikalen, religiösen Gruppen. Weigert sich die Gesellschaft, Minderheiten anzuerkennen, oder weist diese aktiv zurück, bildet das einen fruchtbaren Boden für psychologische Reaktionsbildung, Gegenmobilisierung und ethnischem Radikalismus, was auch Heckmann beschreibt.

Die Regierung sollte endlich auf wahre Experten setzen und umsetzen, was die Forschung schon lange predigt: Inklusion, die Unterschiede anerkennt. Dazu schreibt der Religions- und Migrationsforscher Martin Baumann: "Selbstgewissheit bezüglich der eigenen religiösen und kulturellen Identität und Differenz, nicht ein Streben nach assimilatorischer Angleichung, fungiert als Ausgangspunkt sozialer und identifikatorischer Integration."

Eine Errungenschaft der Aufklärung war die Individualisierung des Menschen, ihn individuell zu betrachten und nicht nach Zugehörigkeit zu einer Klasse oder einem Stamm zu definieren. Wieder werden Menschen in Gruppen geteilt, und für diese, abhängig von der jeweiligen Zugehörigkeit, sollten unterschiedliche Regeln gelten. Wollen wir wirklich Rückschritte machen? (Medina Catakovic, 16.8.2018)