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"Oh, jetzt muss ich aufpassen, was ich sage". So würden manche reagieren, wenn sie sagt, was ihr Beruf ist, berichtet unsere Gesprächspartnerin, eine Psychotherapeutin.

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Warum die Menschen so sind wie sie sind, habe sie schon immer interessiert, sagt eine Psychotherapeutin aus Wien. Nach ihrer Matura hat sie zunächst an der pädagogischen Hochschule studiert und danach an einer Hauptschule unterrichtet. Währenddessen war die heute 55-Jährige in verschiedenen Sozialprojekten, "beispielsweise mit verhaltensoriginellen Jugendlichen", tätig. "Ich bin an meine Grenzen gestoßen und habe gemerkt, dass ich mehr Kompetenzen brauche" – also absolvierte sie eine Psychotherapieausbildung. Nach Abschluss hat unsere Gesprächspartnerin neben ihrer Leherinnentätigkeit in einer Gemeinschaftspraxis als Psychotherapeutin gearbeitet. Später leitete sie ein Familienzentrum und unterrichtete an einer Universität.

Seit ungefähr drei Jahren macht sie nun freiberuflich sogenannte Lehrsupervisionen, begleitet also angehende Therapeutinnen und Therapeuten beim letzten Teil ihrer Ausbildung, ihren therapeutischen Anfängen. Durchschnittlich arbeite sie zwanzig Stunden pro Woche. Dazu kämen weitere 20 Stunden für Nachbereitung. Einmal alle zwei Monate arbeitet sie auch am Wochenende. Wir haben die Psychotherapeutin unter anderem gefragt, was ihr an ihrem Beruf gefällt und mit welchen Vorurteilen sie sich konfrontiert sieht:

STANDARD: Was mögen Sie an Ihrem Beruf?

Antwort: Es mag banal klingen, aber es gefällt mir sehr, mit Menschen zu arbeiten. Solange ich mich erinnern kann, hat mich interessiert, warum die Menschen so sind, wie sie sind, also die psychologischen Aspekte. Ich lerne mit jedem Patienten, mit jeder Patientin dazu. Es gibt so unendlich viele Wege, ein Leben zu leben. Und mit dem zurecht zu kommen, was einem mitgegeben wurde: an Sorgen, Nöten oder Schicksalsschlägen, aber auch an Ideen, Talenten, Möglichkeiten. Ich mag es, meine Patienten dabei zu begleiten.

STANDARD: Was würden Sie an Ihrem Beruf ändern, wenn Sie könnten?

Antwort: An dem Beruf selbst stört mich wenig – was ich wirklich gerne ändern würde, ist das System. Ich fände es wichtig, dass Psychotherapie allen Menschen so zugänglich ist wie Allgemeinmedizin. Ich weiß, wie groß der Bedarf ist – bei allen Vereinen, die kostenlos Psychotherapie anbieten, sind die Wartelisten lang. Ich glaube, dass Psychotherapie vielen Menschen sehr gut tun würde, man könnte Medikamente sparen und das Zusammenleben wäre friedlicher, wenn alle mit sich selber im Frieden sind. Kassenplätze müssen weiter ausgebaut werden. Es braucht niederschwellige Ambulatorien im ländlichen Raum, wo es einen ganz großen Mangel an Psychotherapeuten gibt.

STANDARD: Was sagen andere zu Ihrem Beruf?

Antwort: Da gibt es sehr unterschiedliche Zuschreibungen. Manche sagen, wenn sie von meinem Beruf erfahren: "Oh, jetzt muss ich aufpassen, was ich sage". Sie glauben sie würden von mir analysiert. Andere wiederum meinen, Psychotherapeuten würden überall Probleme sehen, wo keine sind – oder sie wollen sich nicht mit den eigenen Problemen beschäftigen und kümmern sich deshalb um die der anderen.

STANDARD: Wie gelingt es Ihnen, Arbeit und Privatleben zu vereinbaren?

Antwort: Seit ich nur mehr freiberuflich arbeite, gelingt mir das sehr gut. Ich kann mir meine Zeit sehr frei einteilen. Aber ich muss mir selbst Grenzen setzen. Wenn ich beispielsweise Wochenendseminare halte, halte ich mich ganz strikt den Montag frei. Nein zu sagen, wenn jemand doch ganz dringend einen Termin braucht, ist manchmal nicht so leicht.

Manche Schicksale beschäftigen mich außerdem auch außerhalb meiner Arbeitszeit. Das war früher belastend, inzwischen kann ich mich besser abgrenzen. Ich gehe natürlich auch selber in Supervision. Regelmäßig unterhalte ich mich auch mit Kolleginnen, anonymisiert, über unsere Fälle. Das tut sehr gut.

STANDARD: Würden Sie auch arbeiten, wenn Sie finanziell ausgesorgt hätten?

Antwort: Ganz sicher. Ich liebe meine Arbeit und habe das Gefühl, dass ich sie immer machen wollen werde. Es ist nicht nur ein Beruf, sondern auch eine große Leidenschaft für mich. Ich würde wahrscheinlich aber weniger arbeiten, mir zwei fixe Tage unter der Woche frei nehmen.