Tanja Ariane Baumgartner (als Agave/Venus) trägt stolz eine Trophäe davon.

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Das Volk jubelt seinem König zu – doch nur kurz. Denn sogleich erscheint ein anderer auf der Bildfläche, und augenblicklich schlägt sich die Gunst der Menge auf dessen Seite. Bereits in ihren ersten Minuten zeigt Hans Werner Henzes Opera seria The Bassarids geradezu lehrstückmäßig die Verführbarkeit der Massen.

Man darf dabei ruhig (oder beunruhigt) an große Volks(ver)führer aller Zeiten denken. Denn auch wenn das 1966 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführte Stück nach dem Drama Die Bakchen von Euripides ganz mit der antiken Sphäre operiert, hat es der 2012 verstorbene Komponist dezidiert mit politischen Fragen verbunden, die er auch in der Entstehungszeit gespiegelt sah.

Richtungsstreit der Moderne

Regisseur Krzysztof Warlikowski, der das in jedem Sinne gewichtige Opus nun auf die Bühne der Salzburger Felsenreitschule hievte, sieht freilich ebenso einen Bezug zu den jüngsten populistischen Umtrieben. Henze selbst mag auch an den Richtungsstreit in der zeitgenössischen Musik der Nachkriegszeit gedacht haben, als er den Bereich von König Pentheus und jenen des jungen Gotts Dionysus akustisch entwarf: Lebt Ersterer nach dem Gebot der Reinheit und Askese, entsagt dem Wein, dem Fleisch und den Frauen, so predigt Letzterer rauschhafte Maßlosigkeit und Sinnlichkeit.

Man kann in dieser Polarität eine Entsprechung sehen, denn die Klangwelt des machtlosen Königs scheint die "reine Lehre" eines Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez in den 1950er-Jahren zu karikieren, während Henze als Komponist selbst demonstrativ für Schrankenlosigkeit und stilistische Fülle eintrat.

Leichtgängiger Wohlklang

Doch so einfach ist die Sache weder musikgeschichtlich noch im Fortgang der Handlung der Oper. Denn Henze beschränkt sich keineswegs auf leichtgängigen Wohlklang oder billige Fasslichkeit. Schon bei der Salzburger Uraufführung der Bassariden – damals noch auf Deutsch – wurde das Geschehen nicht gerade als leicht verständlich empfunden. Eine gewisse Unübersichtlichkeit ergibt sich schon durch die verschlungenen Handlungsstränge im Libretto von Wystan Hugh Auden und Chester Simon Kallman.

Im Zeitalter der Übertitel lässt sich jedoch immerhin der gesungene Text verfolgen – eine entscheidende Verständnishilfe. Doch die Komplexität bleibt hoch, auch deswegen, weil das Stück seine Botschaft nicht vor sich her trägt, sondern sie erst erschlossen werden muss. Henzes Musik führt nämlich Dionysus zunächst als jenen Heilsbringer, als der er dem Volk erscheint, faszinierend und fesselnd ein – dass er kam, um grausame Rache zu nehmen, erfährt man erst ganz am Ende des fast dreistündigen Abends, in dem auch das sonst meist gestrichene Intermezzo Das Urteil der Kalliope nicht fehlt.

Gesellschaft im Chaos

Die Produktion tut alles, um Anspruch und Übersichtlichkeit zu verbinden: Auf dem dreigeteilten Bühnenbild von Małgorzata Szczęśniak sind die Räume des Privaten, des Repräsentativen und der Platz des Volkes zunächst getrennt, ihre Vermischung lässt erkennen, wie die gesellschaftliche Ordnung nach und nach im Chaos versinkt. Die immer wilder und körperhafter werdenden Tänze (Choreografie: Claude Bardouil) gestalten diese Steigerung mit. Ohne auf archaische Elemente zu verzichten (Axt und Leichenteile), wird auch eine moderne Welt suggeriert (Uniformen, wie sie fast von überallher stammen könnten).

Szenische Überfülle

Das ist bei aller durch das Stück gegebenen szenischen Überfülle meist klug disponiert – selbst wenn auch hier oft mehr zugleich geschieht, als man überblicken kann. Schlichtweg großartig ist die musikalische Umsetzung: An der Spitze eines ausnahmslos hervorragend besetzten Ensembles brilliert Sean Panikkar (Dionysus) mit müheloser heldischer Kraft und natürlichem Schmelz.

Ebenso exzellent ist sein Gegenspieler Russell Braun (Pentheus) mit seiner gemeißelten Diktion und vokalen Fokussiertheit. Und eine unglaubliche Sogkraft entfaltet Kent Nagano am Pult der Wiener Philharmoniker, indem er die überschießenden Klangmassen der Partitur stets farbenreich austariert und noch beim größten Orchestervolumen für Transparenz sorgt.

Das Publikum jubelte allen zu – und zwar lange. (Daniel Ender, 17.8.2018)