Tausende Menschen protestierten in Südkorea für die Abschiebung der Flüchtlinge.

Foto: AFP PHOTO / Ed JONES

Mithilfe einer Gesetzeslücke gelangten die Jemeniten auf Jeju.

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Die meisten von ihnen trauen sich nicht, die Flüchtlingsunterkunft zu verlassen.

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Südkorea musste sich aufgrund seiner geografischen Lage bislang nie wegen globaler Flüchtlingsströme sorgen: Die einzige Landroute führt über einen verminten Grenzstreifen durch das abgeschottete Nordkorea; und für den Schiffsweg übers Meer sind die Krisengebiete zu weit entfernt. Wer in dem Staat Asyl beantragt, reist in der Regel mit dem Flugzeug ein.

Als Adnan die Entscheidung fasst, seine Heimat zu verlassen, hat er einen Säureanschlag und eine Entführung hinter sich. Im Jemen arbeitete der 29-Jährige als Englischlehrer, sein Vater war Professor an einer Universität. "Bevor der Krieg ausbrach, habe ich immer gedacht: Wenn ich jemals mein Heimatland verlassen würde, dann nur während der Ferien", sagt er.

Gesetzeslücke

Doch als Jemenit ohne Visum gibt es kaum Länder, die die legale Einreise ermöglichen – Malaysia ist eine der wenigen Ausnahmen. Mit seinem Ersparten fliegt Adnan nach Kuala Lumpur. Dort am Flughafen schnappt er auf, dass es eine weitere Gesetzeslücke für Flüchtlinge wie ihn gibt: Eine Insel vor der Südküste Koreas ermöglicht Ausländern eine visa-freie Einreise, um den Tourismus anzukurbeln. Keine zwölf Stunden später sitzt er im Flieger nach Jeju.

Die Insel Jeju verbinden die meisten Südkoreaner vor allem mit Flitterwochen, Sandstränden und dem 2000 Meter hohen Vulkanberg Hallasan. "Das Hawaii Koreas" wird die Insel genannt. Nun steht Jeju vor allem für die erste Flüchtlingskrise des Landes und dafür, wie die elftgrößte Volkswirtschaft mit den Problemen einer globalisierten Welt umgehen soll.

Im vergangenen Jahr kamen 42 Jemeniten in Jeju an, noch fast unbemerkt von der Öffentlichkeit. In der ersten Jahreshälfte 2018 waren es mehr als 560, ehe die Lokalregierung im Juni dichtmachte. Eine kleine Zahl, verglichen mit den Flüchtlingsströmen nach Österreich oder Deutschland. Für Südkorea jedoch, eine der weltweit kulturell und ethnisch homogensten Gesellschaften, werden jene Menschen zur Zerreißprobe.

Demos und Petitionen

Mehr als 700.000 Koreaner haben innerhalb weniger Wochen eine Petition unterschrieben, um die Regierung aufzufordern, die Flüchtlinge abzuschieben. Tausende Demonstranten gingen in Seoul auf die Straßen, um gegen die Neuankömmlinge zu protestieren. Auf ihren Bannern prangen angsterfüllte Botschaften von Terroranschlägen und ansteigender Gewalt, angefeuert durch hysterische Zeitungsartikel. Dabei heißt es von der Lokalregierung auf Jeju, dass es bisher keinerlei Probleme gegeben hat.

"Die Regierung hat die Flüchtlinge auf Jeju quasi eingesperrt, sie dürfen nicht das Festland betreten", sagt der Menschenrechtsanwalt Hwang Pil-gyu, der sich seit 14 Jahren für Flüchtlinge in Südkorea einsetzt. In den vergangenen Jahren hat Hwang beobachtet, dass in den Medien die Asylwerber als Scheinflüchtlinge porträtiert werden, die den jungen Wohlstand des Landes gefährden.

Eigene Flüchtlingsproblematik

"Der Hass, der unter anderem auch von einflussreichen Kirchengemeinden angefeuert wird, ist ein herber Rückschlag für Südkorea, eine offenere Gesellschaft zu kreieren", sagt Hwang. Nach Japan ist Südkorea dasjenige OECD-Land, das aufgrund extrem rigider Kriterien am zweitwenigsten Asylanträge annimmt: Im Vorjahr waren es kaum mehr als ein Prozent der 9942 Anträge.

Dabei kennt Jeju die Flüchtlingsproblematik aus eigener Geschichte: Nach einer brutalen Niederschlagung eines kommunistischen Volksaufstands im Jahr 1948 flohen zehntausende Inselbewohner nach Japan.

Adnan sagt, dass er bislang keine Fremdenfeindlichkeit erlebt hat. Als Arabisch-Übersetzer verdient er sich etwas dazu, durch Sprachaustauschtreffen versucht er mit Leuten in Kontakt zu kommen. "Ich verstehe die Angst der Koreaner, sie wissen kaum etwas über uns", sagt Adnan. Die meisten seiner Landsleute, sagt er, würden ihre Unterkünfte aber so gut wie nie verlassen – aus Angst vor den Blicken der Leute. (Fabian Kretschmer aus Seoul, 18.8.2018)