Hosenmäßig ist dieser Bub in der Otto-Glöckel- Sportvolksschule bereits sehr gut integriert. Ein Erfolg, der Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache bei ihrer Inspektion in Wiener Neustadt nicht verborgen blieb.

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Ich war knapp 14 Jahre alt, als meine Mutter mit uns vier Kindern nach Wien kam. Es ist von Haus aus nicht einfach, in ein fremdes Land zu kommen, die Sprache zu erlernen, neue Schulfreundschaften zu schließen. In der Ein-Zimmer-Wohnung war es für uns sehr eng und dunkel. Als Alleinerziehende musste sich meine Mutter – und auch wir Kinder – in einem neuen Land und ohne Deutschkenntnisse zurechtfinden. Wir gingen in die Schule und den Kindergarten. Es war eine der schwierigsten Zeiten in meinem Leben. Es gab viele unterschiedlichste Herausforderungen, die in dieser Situation zu bewältigen waren. Isolation, Angst, Unsicherheit, Ohnmacht und Wut waren anfangs meine ständige Begleitung. Wenn ich damals noch in eine "Extraklasse" hineingesteckt worden wäre, hätte das die Situation nur noch verschlechtert.

Ich erwähne die Situation auch, um zu veranschaulichen, welchen Herausforderungen Kinder und Jugendliche in diesen jungen Jahren ausgesetzt sind. Und da bedarf es Menschen, die keine Angst haben, und Menschen, die "sehen". Ich bin heute noch allen Mitschülerinnen und Lehrern dankbar, dass sie mich unterstützt und sich für mich interessiert haben und nachfragten, wie es mir geht. Mit der Zeit und der Wertschätzung durch Mitschüler und Lehrerinnen sind meine Ohnmacht und Wut verschwunden. Die gemeinsame Zeit hat uns alle bereichert. Ich bin sicher, dass die meisten Lehrer unterstützend für ihre Schüler agieren und das Beste für sie wollen. Die Bundesregierung darf Lehrer nicht im Stich lassen!

Bildungspolitisch wären die Chancen durch Deutschförderklassen für alle Kinder in Österreich nicht gleich, sondern geschmälert. Durch Segregation müssten Kinder in den Deutschförderklassen "die anderen einholen". Doch sie haben bereits am Start einen Nachteil, die Erreichung desselben Standes hinkt automatisch nach. Dieser Umstand ist nicht wieder gutzumachen. Kinder in Deutschförderklassen müssen sich noch mehr anstrengen, um "die anderen" einzuholen. Ein sozialer Aufstieg ist somit noch schwieriger. Ein Studium abzuschließen wirkt noch ferner denn je.

Es ist eine Spirale, aus der es schwierig ist herauszukommen. Durch Deutschförderklassen wählt die Bundesregierung den Weg der Isolation und Stagnation. Schüler werden ausgegrenzt und verlieren Aussichten auf etwas, das ihnen zusteht – eine gute und richtige Bildung. Die, die Unterstützung brauchen, werden weggebracht. Das Problem ist aus der Welt geschafft. Die anderen und ihr Anderssein existieren nicht!

Die Bundesregierung kürzt die Integrationsmittel genau an der Stelle, wo die Gegenwart und Zukunft der Kinder eingebettet liegen – in der Schule –, und führt Deutschförderklassen ein. Die Investition des Staates in die Bildung und somit in den sozialen Staat schwindet. Es sind Einschnitte, die unserer Gesellschaft und vor allem den Kindern schaden. Die Bundesregierung prescht mit diversen Gesetzesentwürfen vor und werkelt ohne Details und Tiefe. Fehler passieren, das ist doch in Ordnung. Ob Fehler eingesehen werden, ist eine andere Frage.

Visionär?

Die ersten Deutschförderklassen beginnen im Herbst 2018. Die geplanten einheitlichen Testverfahren gibt es bis jetzt noch nicht. Wollen Sie, dass Ihr Kind im Herbst einen Test macht, ohne zu wissen, worum es geht? Die neue Regierung soll "zukunftsweisend" und "visionär" sein? Vielmehr hat sie bewiesen, dass sie Rahmenbedingungen schafft, die genau das Gegenteil bewirken!

Ja, Kinder mit Sprachdefiziten müssen gefördert werden. Diejenigen, die keine Defizite haben, dürfen nicht benachteiligt werden. Das Bildungssystem benötigt eine größere Reform als Deutschförderklassen. Eine Reform, die alle Kinder in ihrer Einzigartigkeit fördert. Das ist wohl der schwierigere Weg, aber der richtige, denn alle Kinder haben die gleichen Chancen verdient. Wir benötigen ein Bildungskonzept, das an die heutige Zeit angepasst ist, das alle Ebenen und Aspekte auffängt und Herausforderungen ins Visier nimmt. Ein solches Konzept bedarf klugen Denkens und Handelns unter Einbeziehung aller relevanten Akteurinnen. Etablierte Systeme wie Team-Teaching und Sprachförderung sollen erhalten bleiben und ausgeweitet werden. Schulsozialarbeiterinnen und Diplompädagogen sollen in jeder Schule einen fixen Platz haben, wenn wir Schüler dabei unterstützen wollen, Menschen mit Verantwortungsbewusstsein und Rückgrat zu werden. Andernfalls haben wir in der Zukunft Personen, die es als selbstverständlich erachten, dass alles, was nicht einer Norm entspricht, nicht "perfekt" ist und repariert werden muss, in eine "andere Klasse" gehört.

Schule ist ein Ort des (Lebens-)Lernens. Die Vielfalt, die in einer Klasse herrscht, ist eine Bereicherung für das Zusammenleben. Ich sehe, wohin dieser Weg der Bundesregierung führt, und weigere mich, diesen Weg anzunehmen! Ich weigere mich zuzuschauen! Vertrauen wir in unsere Fähigkeiten, vertrauen wir gemeinsam. Ich bin zuversichtlich. (Ines Lukic-Zajo, 17.8.2018)