"Das Problem am Handy ist seine ständige Verfügbarkeit", sagt der deutsche Psychiater Hans-Jürgen Rumpf. Damit erhöhe sich das Suchtpotenzial.

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Die WHO hat "Gaming Disorder", die Computerspielsucht, in die Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) aufgenommen. Manche Forscher kritisieren diese Entscheidung. Ihr Argument: Der Stand der Wissenschaft weise noch zu viele Lücken auf. Zudem bestehe die Gefahr, dass auch "unauffällige" Computerspieler stigmatisiert werden. Eine weitere Begründung: Exzessives Spielen sei keine eigenständige Erkrankung, sondern vielmehr eine Form der Bewältigung von anderen psychischen Problemen oder Störungen.

55 internationale Wissenschafter holen nun im "Journal of Behavioral Addictions" zum argumentativen Gegenschlag aus. Betroffene haben unter einer deutlichen und zum Teil sehr schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Lebens zu leiden. In vielen Ländern zeigen die Zahlen einen deutlichen Anstieg der Hilfesuchenden. Die Aufnahme diese Störungen in die ICD-11 sei eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass wirksame Behandlungsmethoden entwickelt, geprüft und finanziert würden, schreiben die Experten.

In der Stellungnahme wird auch betont, dass sich viele der kritischen Wissenschafter nicht mit Fragen der Behandlung oder Vorbeugung psychischer Erkrankungen beschäftigen. Stattdessen kommen sie aus Fachgebieten wie zum Beispiel Medienpsychologie, Kommunikationswissenschaften, Computerspieldesign, experimentelle Psychologie oder Erziehungswissenschaften.

Smartphone ständig verfügbar

Auf heftige Kritik stößt etwa die Annahme, Computerspielen sei lediglich Ausdruck einer anderen Störung wie einer Depression oder einer Angststörung. Dabei werde jedoch übersehen, dass auch bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit häufig eine andere psychische Erkrankung vorliegt und diese auch Auslöser der Sucht sein kann, argumentieren die Autoren im "Journal of Behavioral Addictions". Ein weiteres Problem: "Es existiert eine gemeinschaftliche Stellungnahme zahlreicher Vereinigungen der Spieleindustrie, die das Ziel hat die Aufnahme der Computerspielsucht in ICD-11 zu verhindern", sagt der deutsche Psychiater und Psychotherapeut Hans-Jürgen Rumpf von der Uniklinik Lübeck.

Ein besonders hohes Suchtpotenzial ortet Rumpf im Bereich der Smartphone-Spiele. Hier werden Mechanismen eingesetzt, die Menschen süchtig machen können, sagt der Suchtforscher. "Sie setzen auf schnelle Gewinne am Anfang, die im Laufe des Spiels aber immer schwerer erreichbar werden", erklärt er. "So muss ein Spieler für seine Belohnung immer mehr Zeit oder Geld investieren." Besonders gefährlich seien Spiele, in denen gemeinsam mit anderen Aufgaben gelöst werden müssen, wie zum Beispiel Onlinerollenspiele. "Dort entsteht schnell ein sozialer Druck, immer weiter zu spielen", meint Rumpf.

"Das Problem am Handy ist seine ständige Verfügbarkeit", betont Rumpf. "Der Nutzer hat es immer dabei. Will er nur Nachrichten checken, winkt das Spiel schon mit einer Benachrichtigung. Das ist ein Reiz, den der Spieler kaum ausschalten kann."

Sozialer Abstieg

Süchtige weisen Rumpf zufolge oft bestimmte Merkmale auf: "Sie sind meist männlich und haben manchmal auch psychische Probleme oder Störungen. Auch Arbeitslosigkeit oder Migrationshintergrund können Risikofaktoren sein." Für sie könne ein Spiel einen Fluchtweg aus der Realität bedeuten. "Sie spielen, wenn sie gelangweilt sind, gestresst oder traurig. Dann bringen sie weniger Leistung, was sie noch öfter runterzieht – und sie nehmen wieder das Handy in die Hand", schildert Rumpf. "Das ist zu Beginn ein langsamer Kreislauf, der plötzlich sehr schnell werden kann."

Die Folge: Einige Süchtige brechen die Schule oder Ausbildung ab, oder es droht ihnen die Kündigung. Sie verlieren Freunde und Partner. Im Gegensatz zur Spielsucht im Casino sind die finanziellen Folgen laut Rumpf aber meist nicht existenzbedrohend.

Die meisten Spieler werden nicht süchtig

Der Experte kritisiert, dass die Spieleindustrie bei dem Thema die Verantwortung von sich weise: "Wir haben uns mit der Suchtbeauftragten der (deutschen; Anm.) Bundesregierung und der Spieleindustrie an einen Tisch gesetzt. Dabei zeigte die Industrie leider keine große Kooperationsbereitschaft."

Sein Vorschlag: "Spiele mit großem Suchtpotenzial sollten nur für Ältere freigegeben werden." Bisher gibt es Altersbeschränkungen für Spiele mit Gewalt oder sexuellen Inhalten. Helfen könnten Rumpf zufolge auch Warnhinweise, wenn Menschen länger als zwei oder drei Stunden am Tag spielen. Auch eine Funktion, dass sich das Spiel nach einer gewissen Dauer selbst ausschaltet, könnte helfen.

Die meisten Spieler werden aber nicht süchtig, beruhigt Rumpf. "Ich sollte mir Sorgen machen, wenn ich merke, dass ich die Kontrolle verliere", so der Psychologe. "Wenn ich bis spät in die Nacht spiele und ständig übermüdet im Job, der Uni oder der Schule bin, ist das ein Zeichen, dass das Spiel Macht über mich hat." Betroffene sollten sich spätestens dann an örtliche Suchtberatungen wenden. (red, APA, 22.8.2018)