Reichlich Naturholzdesign, sehr engagierter Service und ein weitläufiger Schanigarten für die Touristen am Albertinaplatz.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die geschmorten Schweinsbackerln mit Erdäpfelpüree, sautiertem Pak Choi und Pilzen in Portweinjus sind ein rundum gelungenes Gericht.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Soll noch einer sagen, dass sich die Welt nicht unaufhaltsam zum Besseren verändere: In der Führichgasse wurde ein Pelzgeschäft zum Bäckerbistro. Das alte Geschäftsschild ragt unverändert in die Gasse, auf der Fassade steht noch "Pelzmodelle Urschel" – im Inneren jedoch gibt es statt toter Tierfrisur nun Eggs Benedict, Chia-Vanilla-Granola-Pudding und Schnitzelsandwich.

Der weitläufige Schanigarten zieht sich um die einst als "Bagelmanufaktur" gestartete Innenstadtfiliale von Joseph. Innen geht das Bistro über zwei Stockwerke, die Küche ist offen, der Look international – bis hin zu Unisex-Klos, wie man sie aus Kopenhagen und San Francisco kennt. Die Bagels hingegen wurden wieder verräumt. "Wien ist eben nicht New York." Mehr sagt Ober-Joseph Josef Weghaupt nicht dazu – und lächelt bittersüß.

Was neben dem gelungenen Interieur als Erstes auffällt, ist die beschwingte Stimmung. Und die macht ganz wesentlich das Personal. So entzückend zugewandte, um einen diskreten Schmäh nie verlegene und unkompliziert um Lösungen bemühte junge Burschen und Mädels wie die hier herumschurlenden wirken in der Wiener Gastronomie immer noch exotisch. Es gehört sich, den Damen und Herren (wie auch ihrem Boss und Finder Weghaupt) die Freude, die sie einem machen, auch nachdrücklich hineinzusagen: Ja!

Unter 20 Euro

Ebenso froh stimmt die kluge und moderate Preisgestaltung: Kein Gericht wagt sich über die 20-Euro-Grenze, gute Weinflaschen sind um wenig mehr zu haben – an dieser noblen Adresse eine Seltenheit. Auf der Speisekarte werden Bio-Eier, Bio-Brote und Bio-Müslis, fallweise auch Bio-Roastbeef und Delikatessen wie die Marchfelder Artischocke prominent herausgestrichen. Umso schmerzlicher fällt dann auf, wenn die Hendlbrust im Wiener Chicken-Schnitzel-Sandwich bloß als "steirisch" (vulgo "aus der Huhnfabrik") gekennzeichnet ist – und als Füllung des Bio-Erdäpfelteig-Sauerteig-Brots mit Vogerlsalat und Sauce tartare entsprechend kraftlos und trocken erscheint.

Überhaupt wirken die Sandwiches (in einem Bäckerbistro nominell eine Bank) einstweilen noch eine Idee zu verhalten und weichgespült. Asian Roastbeef Sandwich sieht wunderhübsch aus, mit kunstvoll drapiertem rosa Fleisch und dekorativer Ghoa-Kresse (?) obendrauf, insgesamt aber fehlt es der Komposition trotz knackigen Kimchi-Krauts und des Extratiegels Sauce Hollandaise ein bisserl an Saft und Würze.

Körndlfutter

Ganz anders der Einkorn-Risotto mit Ziegenfrischkäse, Spinat, geschmortem Jungzwiebel und den bereits erwähnten, fabelhaft geschmacksintensiven Marchfelder Artischocken: Was leicht als vegetarische Verlegenheitsoption hätte enden können, erweist sich als das Gericht des Abends: Schwungvoll abgeschmeckt, exakt gegart, klug kombiniert und vielschichtig – richtig gut. Auch die geschmorten Schweinsbackerln mit Erdäpfelpüree, sautiertem Pak Choi und Pilzen in Portweinjus (siehe Bild) sind ein rundum gelungenes Gericht. Beim Kalbsgulasch überzeugt die Fleischqualität. Dass der Handsemmelauflauf dazu eine originelle Idee ist, vermag ihn als Ersatz für Butternockerl aber keineswegs zu qualifizieren.

Doch man muss sich eh Platz fürs Dessert lassen: Zitronen-Ribisel-Meringue-Tartelette ist verboten gut, und selbst die Sachertorte gerät dank köstlicher Tonkabohnenaromatik und reichlich Marillenmarmelade auf eine Art saftig, wohlschmeckend und sogar schokoladig, wie man sich das in Rufweite jenes Hauses, das den schrecklichen Ruf der Dauerbackware in die Welt getragen und mit Nachdruck befördert hat, nicht erwarten würde. (Severin Corti, RONDO, 24.8.2018)

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