Ein mobiler Brunnen für den Arbeiterstrich, der sich in den sozialen Netzwerken ganz gut verbreiten dürfte: Milan Mijalkovics "Die Wiener Maria".

Foto: Milan Mijalkovic

Milan Mijalkovic (36) wurde in Mazedonien geboren und lebt seit 2000 als Künstler in Wien.

Foto: Joanna Pianka

Zu jenen Phänomenen, die es in einer besseren Welt wohl nicht gäbe, zählt der "Arbeiterstrich". Tagtäglich bieten dort Männer, vor allem aus Osteuropa, Dienste als Schwarzarbeiter an. Privatpersonen holen die Pfuscher ab und verbringen sie zu Baustellen in der Umgebung. Wiewohl die Männer nicht selten ausgebildet sind – sei es als Maurer oder als Elektriker -, müssen sie mangels Arbeitserlaubnis unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten. In Wien ist zum Beispiel die Triester Straße ein Hotspot solcher Schattenwirtschaft.

Ebendort, unweit eines großen Baumarkts, könnte man in der kommenden Woche Zeuge einer seltsamen Begebenheit werden. Einer jener Lkws, die den Männern wohlbekannt sind, fährt vor, öffnet die Ladeluke – und zum Vorschein kommt eine riesige weibliche Brust. Keine Milch verspritzt diese allerdings, sondern Wasser, an dem sich die Arbeiter laben können.

Keine Milch, sondern Wasser: "Die Wiener Maria" ist eine Kunstaktion von Milan Mijalkovic, die kommende Woche unter anderem in der Triester Straße Station machen wird.
Foto: Joanna Pianka

Mobiler Brunnen

Ja, ganz profan könnte man diese Intervention des Künstlers Milan Mijalkovic einen mobilen Brunnen nennen. Eigentlich heißt die Aktion, die außerdem an der Brünner Straße und der Herbststraße stattfindet, jedoch Die Wiener Maria. Sie fügt sich in eine ganze Reihe von sozial engagierten Kunstprojekten ein, die Mijalkovic verwirklicht hat, seit er im Jahr 2000 aus Mazedonien nach Wien kam.

Gemeinsam sind diesen Interventionen der Fokus auf gesellschaftliche Schieflagen und der Hang zu einer fast überrumpelnden Direktheit. 2013 ironisierte Mijalkovic den Begriff "Verantwortung", indem er in einem Happening die Verantwortung für diverse Naturkatastrophen der letzten Jahrtausende versteigerte. Später hielt er eine "Rede zur Demokratie", die ausschließlich aus kalmierenden Pscht-Lauten bestand. Beruhigen und zugleich ruhig halten: Auf eine ähnliche Doppeldeutigkeit möchte Mijalkovic auch mit der Wiener Maria hinaus. Als "Brust des Kapitalismus" sieht er das Objekt, eine Brust, die zugleich nähre und abhängig mache.

Mit dem Arbeiterstrich hat sich der 36-Jährige mehrfach befasst. Einmal gab er den Arbeitern Wegwerfkameras mit auf ihre prekären Wege, auf dass sie ihre Arbeitsstätten für ein Fotobuch ablichten. Später inszenierte er mit ihnen Choreografien am Straßenrand. Es war der Versuch, "einer losen Gruppe eine Form zu geben", Sichtbarkeit, eine zumindest symbolische Vertretung. Zu den Arbeitern unterhält Mijalkovic eine freundschaftliche Beziehung, manche von ihnen kennt er schon seit Jahren.

Ein Monument für Arbeiter

Den ersten Kontakt hatte der Künstler indes als Auftraggeber. Anno 2013 arbeitete er am Entwurf für eine Maschine, die automatisch Luftballons aufbläst und in den Raum wirft. Er war auf dem Weg in den Baumarkt, um das geeignete Bauteil zu finden, als einer der Arbeiter ihn ansprach. Da bezahlte Mijalkovic kurzerhand den Rumänen dafür, sich ins Innere der Maschine zu setzen und händisch die Ballons aufzublasen. Workingman's Monument nannte er die Arbeit dann, die zunächst nicht sozialkritisch gedacht war.

Das Konzept, die Männer für Auftritte im Kunstraum zu entlohnen, griff Mijalkovic wieder auf, als er zehn von ihnen auf Podeste stellte. Die Aktion erregte einiges Aufsehen: "Mir wurde vorgeworfen, dass ich die Arbeiter ausnutze", erzählt der Künstler. Aber: "Man hat überhaupt nicht realisiert, dass die Männer das jeden Tag tun, einfach nur dastehen, oft stundenlang." Tatsächlich ist es den Arbeitern verboten, sich auf dem Gehsteig hinzusetzen, weiß Mijalkovic. Seine wasserspendende Wiener Maria ist, so betrachtet, auch schlicht nützlich.

Auszüge aus den Menschenrechten vervielfältigen

Sie wird mutmaßlich aber auch einige Aufmerksamkeit erregen. Nicht jeder, der daran vorbeikommt, wird sich auf kunstgeschichtliche Bezüge zur milchspendenden Maria lactans versteifen. Das ist aber auch nicht schlimm. Wer den Lkw – und sei's nur wegen des Riesennippels – instagrammt, der wird mit einiger Wahrscheinlichkeit auch Auszüge aus den Menschenrechten in der Welt vervielfältigen.

Selbige sind, beginnend mit dem Recht auf Arbeit, auf die Seiten des Lkws gedruckt. Allerdings etwas blass, womit symbolisiert werden soll, dass sie in Vergessenheit geraten sind. In tiefem Schwarz gedruckt ist der herablassende Satz: "Schwarzarbeiter, Schwarzarbeiter, kriegst ein Wasser".

Wobei die Frage im Raum steht, ob nicht alle, Arbeiter wie Auftraggeber, im selben Boot sitzen. Aus Gesprächen mit den Pfuschern weiß Mijalkovic, dass sie ihre Auftraggeber "die reichen Sklaven" nennen. Warum? Es gebe keine höheren Ziele, keine Visionen mehr. Wofür wir arbeiten, das sind kleine Befriedigungen. "Eigentlich", sagt Mijalkovic, "arbeiten wir nur für den Tod."(Roman Gerold, 23.8.2018)