Im Notfall müssen alle behandelt werden. Wer vom Arbeitgeber nicht versichert wird, aber krank wird oder ein krankes Kind hat, wird jedoch oft selbst zur Kasse gebeten.

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Die Zahl der nicht krankenversicherten Menschen in Österreich ist stark gesunken. Grund sind Verbesserungen in der sozialen Absicherung, die es verhindern, dass Menschen unwissentlich aus der Versicherung fallen oder aus Scham einen Anspruch auf Versicherung nicht in Anspruch nehmen.

Erstmals seit 2003 liegen nun Daten vor, die zeigen sollen, wie gut der Abdeckungsgrad der Krankenversicherung ist. War vor 15 Jahren noch von rund 100.000 Nichtversicherten die Rede, spricht die Erhebung des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung jetzt von 4.000 Nichtversicherten. Wobei Studienleiter Michael Fuchs warnt: Die "alten" 100.000 waren jedenfalls zu hoch gegriffen, die heutigen 4.000 seien aber ebenfalls "mit äußerster Vorsicht zu genießen". Es gebe eine Reihe von Unsicherheiten – etwa bei Pendlern oder Freiberuflern, bei denen man davon ausgeht, dass sie im Ausland versichert sind, das aber tatsächlich nicht der Fall ist. Das mache die Berechnung schwierig. "Es könnten auch 20.000 oder sogar 50.000 sein", meint Fuchs.

Lücke ist kleiner

Fix ist für die Studienautoren und für den Hauptverband der Sozialversicherungen, der die Studie in Auftrag gegeben hat, aber eines: Die Lücke im Versicherungssystem ist deutlich kleiner geworden. Und das lasse sich auf ganz konkrete Reformen im Sozialsystem zurückführen. Die wichtigste Maßnahme sei die Einführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung im Jahr 2010 gewesen, wodurch alle Sozialleistungsbezieher automatisch krankenversichert wurden und die E-Card erhielten, sagt Alexander Hagenauer vom Hauptverband. Dadurch seien viele ärmere Menschen zurück in die Gesundheitsversorgung geholt worden.

So weit die gute Nachricht. Die schlechte: Die Verbesserung ist nicht unumkehrbar. Sollte Österreich daran denken, ähnlich wie Deutschland Einschnitte bei der Mindestsicherung vorzunehmen und ein Modell analog zum deutschen Hartz IV einführen, könnten wieder mehr Menschen aus der Gesundheitsversorgung gedrängt werden, sind sich die Studienautoren einig. Ein Grund: Die Mindestsicherung umfasst deutlich mehr Menschen als die Notstandshilfe. Wer keinen Job mehr hat, über den er oder sie versichert ist, aber auch keine Notstandshilfe bezieht, fällt dann gänzlich um die Krankenversicherung um. Einschnitte bei der Mindestsicherung würden also mehr Menschen aus der Gesundheitsversorgung drängen.

Gefahr durch prekäre Jobs

Oft handle es sich bei den Nichtversicherten um Personen in prekären Jobs, die vom Arbeitgeber einfach nicht bei der Sozialversicherung angemeldet werden und die sich aus Angst vor Jobverlust nicht dagegen wehren können, erklärt Co-Studienautor Martin Schenk von der Diakonie. Meistens sind es Migranten, die davon betroffen sind.

Wie aber passt der starke Rückgang bei der Zahl der Nichtversicherten zu der Tatsache, dass die Schlangen vor den Türen der niederschwelligen medizinischen Einrichtungen für arme Menschen immer länger werden? Ein Grund liegt darin, dass die Erhebung nur jene Menschen zählen kann, die in Österreich als wohnhaft gemeldet sind. Wer keinen Aufenthaltstitel hat, wird statistisch nicht erfasst. Diese Personen brauchen aber genauso wie alle anderen Menschen medizinische Versorgung und sind in der Regel auf karitative Einrichtungen angewiesen.

Depressiv durch Armut

Schenk beschreibt, welche Menschen es sind, die solche Einrichtungen aufsuchen: Bei den Migranten handle es sich überwiegend um arbeitslose EU-Ausländer, die kürzer als fünf Jahre hier sind und deshalb noch keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, oder um Personen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Unter den Besuchern ohne Migrationshintergrund seien Personen mit psychischen oder kognitiven Problemen die größte Gruppe – sie würden jemanden brauchen, der ihnen bei den Behördengängen hilft. Wobei die psychischen Probleme auch eine Folge der Armut sein können, sagt Schenk: Der "Überlebensstress" der akut armen Menschen sei hoch, häufig münde das in eine Erschöpfungsdepression. (Maria Sterkl, 24.8.2018)