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Noch immer sitzen 148 Erwachsene auf dem Schiff der italienischen Küstenwache fest. Der ehemalige Premierminister Paolo Gentiloni spricht von einer "nationalen Schande".

Foto: REUTERS/Antonio Parrinello

Am Mittwoch konnten im Hafen von Catania wenigstens 29 unbegleitete Minderjährige an Land gehen: "Für Kinder haben wir Italiener ein großes Herz. Aber die Erwachsenen, die bleiben an Bord", erklärte Salvini auf Facebook. Die minderjährigen Flüchtlinge befanden sich zusammen mit 148 Erwachsenen an Bord der Diciotti, eines Schiffs der italienischen Küstenwache.

Dieses liegt seit Anfang dieser Woche im Hafen von Catania vor Anker; zuvor dümpelte es tagelang vor der Insel Lampedusa, wo dem Schiff die Einfahrt in den Hafen verweigert wurde. Italiens Innenminister und Chef der fremdenfeindlichen Lega will die erwachsenen Flüchtlinge erst an Land lassen, wenn er von den anderen EU-Ländern verbindliche Zusicherungen erhält, dass sie die Migranten übernehmen.

EU-Treffen einberufen

Die EU-Kommission hat deshalb für heute, Freitag, zu einem Krisentreffen geladen. Spitzenbeamte aus zwölf EU-Staaten – inklusive Österreich – sollen eine gemeinsame Lösung für Migration suchen. Bei dem Treffen gehe es um die Aufteilung von Verantwortung im Lichte bisheriger EU-Beschlüsse und Rettungsaktionen. Da es sich um ein informelles Treffen handelt, will die Kommission keine Ergebnisse ankündigen.

Vize-Regierungschef Luigi Di Maio (5-Sterne-Bewegung) drohte der Europäischen Union indes mit einem Zahlungsstopp, sollte es keine rasche Einigung auf eine Übernahme der Flüchtlinge der Dicioitti durch EU-Partner geben: "Wenn beim Treffen der Europäischen Kommission nichts zur Verteilung der Migranten von der 'Diciotti' herauskommt, dann werde ich nicht bereit sein, jedes Jahr 20 Milliarden Euro an die EU zu zahlen." Das sei Teil einer "harten Linie", die man ab jetzt gegenüber der Kommission verfolgen wolle.

Die Drohung stößt bei Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Ablehnung. "Ich halte nichts von Drohungen, insbesondere nichts von solchen Drohungen", sagte er am Freitag in einer Pressekonferenz. "Ich sage einmal, es wären vielleicht auch die wirklich starken Nettozahler berufen, solche Drohungen auszusprechen. Auch die sollten es nicht tun, tun es auch für gewöhnlich nicht", umriss er seine Haltung: "Ich würde so etwas aber auch nicht überbewerten. Ich gehe nicht davon aus, dass es dazu kommt."

Zustände am Schiff "grauenhaft"

Dass einem Schiff der italienischen Küstenwache zunächst tagelang die Einfahrt in einen italienischen Hafen verweigert wird und fast 150 Menschen festgehalten werden, verstößt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur gegen geltende Gesetze und internationale Vereinbarungen, sondern auch gegen die italienische Verfassung.

Das hat auch der Staatsanwalt der sizilianischen Stadt Agrigento, Luigi Patronaggio, festgestellt: Der Magistrat hat eine Voruntersuchung, unter anderem wegen Freiheitsberaubung, eingeleitet – "gegen unbekannt". Zuvor hatte Patronaggio das Schiff inspiziert. "Es ist grauenhaft. Fast alle Flüchtlinge haben die Krätze", sagte der Staatsanwalt. Auf Freiheitsberaubung stehen bis zu acht Jahre Gefängnis.

"Ich bin Matteo Salvini"

Salvini fühlte sich von Patronaggio angesprochen und zeigte sich unbeeindruckt: "Ich bin nicht unbekannt. Ich bin Matteo Salvini, Senator und Innenminister Italiens mit dem Mandat, die Grenzen zu verteidigen", erklärte er auf Facebook. "Wollt ihr mir den Prozess machen? Dann macht mir eben den Prozess." Aber er werde niemandem mehr die Erlaubnis erteilen, die Diciotti zu verlassen. Wenn Staatspräsident Sergio Mattarella oder Ministerpräsident Giuseppe Conte intervenieren wollten, dann sollen sie es tun.

Salvini legt sich mit allen an: mit dem Staatsoberhaupt, mit dem Regierungschef, mit der EU. Das gleiche Spiel hatte er bereits Mitte Juli gespielt, als er 67 Flüchtlinge, die sich ebenfalls auf der Diciotti befanden, im sizilianischen Pozzallo nicht an Land lassen wollte, ehe die europäischen Partner einlenkten.

Für die Opposition ist das Festhalten der Flüchtlinge nichts anderes als Kidnapping und ein Erpressungsversuch gegenüber den europäischen Partnern. Im Unterschied zu ähnlich gelagerten Fällen hat nur bisher kein EU-Partner reagiert. Am Mittwoch hat sich auch Ex-Premier Paolo Gentiloni eingeschaltet, dessen Regierung es vor einem Jahr gelungen war, die Zahl der Bootsflüchtlinge um 80 Prozent zu reduzieren. "Der Innenminister steht nicht über dem Gesetz, er führt nicht die Regierung, er kommandiert nicht die Küstenwache, und er begnadigt auch keine Kinder oder verurteilt keine Erwachsenen. Das Geschehen auf der Diciotti ist eine nationale Schande", sagt Gentiloni. (Dominik Straub aus Rom, APA, 23.8.2018)