Flüchtlingshelfer am Wiener Westbahnhof im Jahr 2015.

"Meine sind so süß, die lass ich nicht mehr weg!" Die Frage, warum sie sich nach vielen Jahren intensiver Arbeit mit Flüchtlingen nach wie vor um sie kümmert, stellt sich für Viviane Kellnreitner gar nicht. Für sie sind der junge Mann, der seit vier Jahren bei ihr zu Hause wohnt, und die Familien in den Ortschaften rund um ihre Heimatgemeinde im Weinviertel längst Teil des Lebens. B. kam als 24-Jähriger nach Österreich. Er gehört der Minderheit der Hazara in Afghanistan an. Über eine befreundete Flüchtlingshelferin entstand der Kontakt. Nun lebt der inzwischen 28-Jährige mit einer kurzen Unterbrechung seit 2014 bei der Familie. Mittlerweile ist das Asylverfahren positiv abgeschlossen. B. arbeitet bei der Post als Paket- und Briefzusteller.

Viviane Kellnreitner.
privat

"Er nennt uns seine Stiefeltern", sagt Kellnreitner, eine gebürtige Französin, die vor der Pension am Institut für Romanistik an der Universität Wien beschäftigt war. Ihre Leidenschaft für Sprachen sieht sie als einen der Gründe für ihr Engagement: Sie eignete sich sogar Grundkenntnisse in Dari an, um den Flüchtlingen zu zeigen, wie ernst es ihr ist. Mit ihnen Deutsch zu lernen, sieht sie als eine der Aufgaben, aber auch das Begleiten bei Behördenwegen. Nicht immer sei es einfach, die kulturellen Unterschiede zu akzeptieren. Zum Beispiel, wenn Gewalt in den Flüchtlingsfamilien Thema ist. Die Männer seien oft Analphabeten und ihren Frauen intellektuell unterlegen. Ihre Macht demonstrieren sie mit Schlägen.

Kellnreitner hat in den vier Jahren viel Dankbarkeit erfahren, sagt sie. Ein besonderes Anliegen ist ihr aufzuzeigen, welchen Mehrwert Österreich durch die Flüchtlinge hat. Familien würden in ländlichen Regionen Häuser mieten, die sonst leer stünden, weil sie Österreichern nicht gut genug seien. Dass B. irgendwann ausziehen wird, glaubt Kellnreitner schon. Er will eine eigene Familie gründen, erzählt sie. Der Kontakt jedoch werde immer aufrecht bleiben. Kellnreitner freut sich schon auf zusätzliche Enkelkinder. (Rosa Winkler-Hermaden)

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Sie hatte ein "chilliges Leben", sagt die Keramikerin Doro Blancke, "einen schönen Schauraum" an der südsteirischen Weinstraße. 2014 begann sich das Leben der heute 57-Jährigen massiv zu ändern. Es begann mit einer Familie aus dem Libanon in einer Asylunterkunft in Leibnitz.

Doro Blancke.
privat

Der Vater und die vier Kinder wurden auf der Flucht von der Mutter getrennt. Blancke brachte ihnen Lebensmittel, als sie die weinende kleine Tochter trösten wollte und fragte, was sie sich wünsche. "Sie sagte nur, sie wolle ihre Mama. Das hat mich ins Herz getroffen", erinnert sich Blancke.

Sie kümmerte sich bald täglich um die Familie, die heute glücklich samt Mutter in der Obersteiermark lebt, und organisierte für alle Schulplätze. Ab 2015 initiierte Blancke in Ehrenhausen, später in weiteren Dörfern regelmäßige Treffen für Flüchtlinge aus dem Irak, Afghanistan und Syrien, wo gemeinsam Kuchen und Kaffee gemacht wurden. "Ich habe auch die Dorfbewohner eingeladen, langsam kamen gleich viele Einheimische wie Flüchtlinge: Die Kinder spielten miteinander, es wurde musiziert, es war schön", so Blancke. Und was hilft gegen Vorurteile und Ängste?

"80 Prozent sind Dialog", sagt die Helferin. Blancke half bisher mit einem Netz aus Helfern, Wirtschaftsleuten und der FH Joanneum, rund 180 Personen.

Heute lebt sie in einer WG in Graz mit zwei einstigen Flüchtlingen, die arbeiten und "Mitbewohner auf Augenhöhe" sind. Ihre Mutter, Cousins und Freunde unterstützen sie, auch ihre erwachsenen Kinder verstehen sie heute. "Es gab auch Krisen mit den Kindern, etwa als ich mein Auto verkaufen musste", so Blancke, "aber ich habe ihnen Herzensbildung mitgegeben". Sie habe "kein Helfersyndrom, aber es gibt so viel zu tun".

Die Lage spitzte sich heuer zu. Sie betreue nun fast nur noch Afghanen, die Panik vor der Abschiebung haben. Hilfe für Betreuer, deren Schützlinge suizidgefährdet sind, haben Blancke und Mitstreiter auf fairness-asyl.at gesammelt. (Colette M. Schmidt)

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Nur "zuschauen" war Anita Tossmann einfach zu wenig. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise packt die Deutschlehrerin und Texterin einer Werbeagentur in der kleinen Stadt Peuerbach ihre Koffer – und fährt mit einer Ladung an Altkleidern in das nahe Grieskirchen. 90 Flüchtlinge sind zu diesem Zeitpunkt dort in einer ehemaligen Schule untergebracht.

Anita Tossmann.
privat

"Ich habe nicht gewusst, was mich dort erwartet. Und vor allem war mir damals noch nicht bewusst, dass sich meine Sicht auf das Leben komplett verändern wird", erzählt die 46-Jährige. Tossmann gibt zunächst einen ganzen Sommer lang Deutschkurse – bis zu dreißig Flüchtlinge nehmen daran teil.

"Es ist gut gelaufen, und es ist viel weitergegangen. Aber eigentlich wollte ich mich nach gut zwei Monaten wieder verabschieden", erinnert sich die Pädagogin. Doch irgendwann fällt für Tossmann der "Schlüsselsatz". Die einfache Frage eines Kursteilnehmers "Wann kommst du morgen?" weckt in der Peuerbacherin das Bewusstsein, dass das Flüchtlingsprojekt wohl ein längeres werden würde. Und gut drei Jahre später fällt die Bilanz in Peuerbach durchaus beachtlich aus. Im Heimatort von Österreichs First Lady Doris Schmidauer leben heute 46 Asylwerber.

Alle konnten bereits privat übersiedeln – haben also eine eigene Wohnung gemietet. Was so in keiner anderen oberösterreichischen Gemeinde der Fall ist. Und selbst auf dem Lehrstellensektor sticht der Ort heraus: Im gesamten Bezirk Grieskirchen machen aktuell 15 Asylwerber eine Lehre, zwölf davon kommen allein aus Peuerbach. Geschuldet ist das Gelingen der Integration einem großen Netzwerk an Freiwilligen im Ort. Koordiniert über weite Strecken von Anita Tossmann.

Die rosarote Brille hat Tossmann aber dennoch nie getragen: "Wir haben viel erreicht. Aber es war nicht immer leicht. Da wurde gelacht, gestritten, diskutiert. Und ja, es hat Momente gegeben, in denen ich die Nerven weggeschmissen habe. Aber es ist einfach das Leben." (Markus Rohrhofer, 24.8.2018)