"Ab September wird meine Kanzel nicht mehr in Simmering sein, sondern sozusagen in der Gesellschaft", sagt die künftige Diakonie-Leiterin Maria Katharina Moser.

Foto: Simon Rainsborough

"Vor vier Jahren bin ich Pfarrerin geworden. Mit 40. Inzwischen frage ich mich, warum ich nicht früher auf die Idee gekommen bin. Aber es wird schon seine Richtigkeit haben, dass ich meinen Weg so gegangen bin, mit Haken und Schlenkern.

Theologin wollte ich immer sein. Schon als Kind und Jugendliche habe ich mich in meiner damaligen katholischen Pfarrgemeinde in Eferding engagiert: Gottesdienste mitgestaltet, die Pfarrbücherei umgekrempelt, Jungscharlager mitorganisiert. Kirche ist ein wunderbarer Ort, um gemeinsam mit anderen etwas zu bewegen. Kirche – und das gilt auch für die Diakonie Österreich (Sozialwerk der Evangelischen Kirchen, Anm.), die ich ab September als Direktorin leiten darf – ist ein Ort, wo Menschen viel zugetraut wird. Gott hat uns schließlich alle mit Fähigkeiten und Begabungen ausgestattet.

Aber ich bin auch an Grenzen gestoßen. Nach der Erstkommunion durfte ich nicht Ministrantin werden, das war damals für Mädchen noch nicht möglich. Das hat meinen kritischen Geist geweckt, und ich habe mich für feministische Theologie zu interessieren begonnen.

Leidenschaft versus Vernunft

In Wien habe ich dann zunächst katholische Theologie studiert. Richtungweisend für mich war ein Austauschprojekt mit den Philippinen. Wir haben einen Monat mit Slumbewohnern, Fischern und Kleinbauern gelebt und darüber nachgedacht, wie wir von Gott reden und Kirche sein können inmitten von Not und widrigen sozialen Umstände.

Heute würde ich die Frage so formulieren: Wie kann die Kirche eine Gemeinschaft vorleben, in der alle Platz haben? Wo sonst als in einer Kirchgemeinde spielt sich heute die gesamte Bandbreite des sozialen Lebens ab, sitzt die pensionierte Hilfsarbeiterin neben dem pensionierten Uni-Professor, die Arzthelferin neben dem Asylwerber? Das erlebe ich in meiner Gemeinde in Simmering. Aber ich greife vor.

Nach dem Studium wollte ich in der Wissenschaft bleiben. Ich habe über den Opferbegriff aus feministischer Perspektive promoviert und eine Assistentinnenstelle am Lehrstuhl für Sozialethik und Praktische Theologie in Saarbrücken bekommen. Als es um ein Habilitationsthema ging, bekam ich öfter zu hören: 'Jetzt machst aber nichts mehr mit Gender. Sonst wird es schwierig, in der katholischen Theologie einen Lehrstuhl zu bekommen.' Da habe ich gemerkt, das macht was mit mir: innere Leidenschaft für eine Sache versus Vernunft von außen, um einen Karriereweg zu beschreiten.

Wunsch zu konvertieren

Und da passierte etwas Überraschendes: Der ORF rief an und fragte, ob ich als Religionsjournalistin für den Sender arbeiten möchte. Wenn so etwas wie aus heiterem Himmel kommt, hat das einen Grund – da muss man Ja sagen. Das war 2007.

Die Zeit beim ORF war toll. Ich habe viele spannende Menschen interviewt. Aber auf die Dauer war mir der Journalismus zu unverbindlich. Die Kommunikation endet quasi am Bildschirm. Wenn ich in diakonischen Einrichtungen oder in Pfarrgemeinden auf Dreh war, wäre ich am liebsten da geblieben, um mitzumachen.

Ich habe beim ORF oft über evangelische Themen berichtet und gemerkt, wie nah die evangelische Art, zu glauben und zu denken, meinem Herzen ist. Ich wollte konvertieren. Eine weitreichende Entscheidung. Der berufliche Weg zurück in die katholische Theologie wäre versperrt. Es kamen also zwei Dinge zusammen: der Wunsch, zu konvertieren, und der Wunsch, beruflich verbindlich mit konkreten Menschen zu arbeiten. Warum nicht Pfarrerin werden?

Keinen Stress haben

Ich habe evangelische Theologie 'nachstudiert' und das Vikariat gemacht. Du arbeitest mit deinem Lehrpfarrer in der Gemeinde und machst parallel dazu als Berufsschule das Predigerseminar. Mit 40 als Lehrling anzufangen war schon ein Wagnis. Ich hatte das große Glück, Sepp Lagger von der Glaubenskirche in Wien-Simmering als Lehrpfarrer zu bekommen. 'Wir werden keinen Stress haben', hat er mir gleich zu Anfang gesagt. Tatsächlich muss man sich im Beruf als Pfarrerin so organisieren, dass man keinen Stress hat. Ich kann kein Beerdigungsgespräch mit Angehörigen führen, wenn ich gedanklich schon bei den nächsten Aufgaben bin.

Der Wechsel vom Journalismus ins Vikariat war zunächst mit einem deutlichen Gehaltsverlust verbunden. Interessanterweise war das nicht schlimm. Man musste als Vikarin nicht hungern. Ein gewisses Einkommen ist wichtig, das sichert die Existenz. Wichtiger als die Höhe des Einkommens ist für mich, meiner inneren Leidenschaft zu folgen und keine faulen Kompromisse eingehen zu müssen.

Als Pfarrer Lagger 2016 in Pension ging, durfte ich ihm als Gemeindepfarrerin in Simmering folgen. Eine Pfarrgemeinde, das ist viel normaler Alltag – und gleichzeitig die ganze Welt in einer Nussschale mit großer Verbindlichkeit. Das ist oft sehr aufregend und berührend.

Ich hatte nicht vor, die Gemeinde so schnell zu verlassen. Ich habe mich nicht selbst um das Amt der Diakonie-Direktorin beworben. Es war ein Ruf. Und wenn so ein Ruf kommt, folgt man ihm.

Es geht um Menschenwürde

Ab September wird meine Kanzel also nicht mehr in Simmering sein, sondern sozusagen in der Gesellschaft.

Ich stehe zuversichtlich vor der neuen Aufgabe. Ich fühle mich getragen vom Vertrauen, das jene in mich gesetzt haben, die mich nominiert und gewählt haben. Im Grunde ist für die Aufgabe in der Diakonie das Gleiche wichtig wie in der Gemeinde: der theologische Grundgedanke, dass Gott den Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat. Jeder Mensch ist wertvoll und alle Menschen sind gleich viel wert. Anders ausgedrückt: Es geht um die Menschenwürde." (Protokoll: Karin Tzschentke, 28.8.2018)