Am Ende des Buches "Mein Österreich" (2007) habe ich die Maxime des großen österreichisch-britischen Philosophen Karl Popper zitiert: "Die offene Zukunft enthält unabsehbare und moralisch gänzlich verschiedene Möglichkeiten. Deshalb darf unsere Grundeinstellung nicht von der Frage beherrscht sein: ,Was wird kommen?', sondern von der Frage ,Was können wir tun?': Tun, um die Welt ein wenig besser zu machen?"

Auch im Sinne Poppers möchte ich auf zwei wichtige Interviews und einen Leserbrief hinweisen. Vizekanzler Strache sagte, er würde zur kirchlichen Trauung seinen "Freund, Italiens Vizepremier Salvini, und vielleicht Ungarns Premier Viktor Orbán", dessen Arbeit er schätze, einladen. Außenministerin Kneissl habe ein Geheimtreffen und viele Kontakte auch am Telefon mit Präsident Putin gehabt. Seine Anwesenheit bei Kneissls Hochzeit sei "eine fantastische Werbung für Österreich gewesen". Putin sei übrigens im persönlichen Umgang "sehr liebenswürdig, bodenständig, offen und herzlich". Hinsichtlich Kritik betont der Vizekanzler, "die Stimmung in der Bevölkerung sieht ganz anders aus". ("Die Presse", 26. 8.)

Das bestätigt auch der Leserbrief von Monika Feuersinger aus Innsbruck in der Sonntagausgabe der auflagenstärksten österreichischen Zeitung: "Endlich, nach Jahren, kann ich stolz auf Österreich sein." Putins Reise in die Steiermark sei "ein Staatsakt sondergleichen. Hoffentlich wacht Europa endlich auf und erkennt, dass unsere Zukunft nicht bei Merkel und den Amis liegt, sondern in Russland." Auch eine "Profil"-Umfrage, wonach nur ein Drittel das zu enge Verhältnis zu Putin missbilligt, scheint den Optimismus des FPÖ-Chefs zu rechtfertigen, der übrigens bei der Europawahl im Frühjahr mit einer Verdrei- oder -vierfachung des Abgeordnetenstandes der rechtspopulistischen Fraktion (derzeit 35) im Europaparlament rechnet.

Die Banalitäten in den Aussagen führender SPÖ-Politiker und die Krise der Grünen und der Pilz-Gruppe lassen vor dem Hintergrund des Schweigens des nach wie vor populären Kanzlers auch in Österreich keine großen Hoffnungen für die Anhänger des europäischen Gedankens und der liberalen Demokratie bei den EU-Wahlen aufkommen. Wer von den Politikern liest etwa das Interview der "Wiener Zeitung" mit Timothy Snyder, dem herausragenden amerikanischen Historiker? Er warnt, dass die russische Führung andere Staaten ermuntert, doch so zu werden wie Russland. "Auch für die Bürger Österreichs sollte das besorgniserregend sein. Denn all das, was die Österreicher an ihrem Land schätzen – den Rechtsstaat, den hohen Grad an sozialer Gerechtigkeit und den niedrigen Grad an sozialer Ungleichheit – existiert in der Russischen Föderation nicht. Die russische Nomenklatura versucht aber, die Absenz dieser Dinge zu exportieren."

Ich habe vor 61 Jahren "in finsteren Zeiten" (Brecht) in Österreich eine neue Heimat gefunden und die Zweite Republik stets gegen österreichfeindliche Klischees (1986 / der Fall Waldheim, 2000 / die EU-Sanktionen) verteidigt. Ja, Herr Professor Snyder, als Bürger Österreichs finde auch ich die Vorgänge – nicht nur in Österreich! – besorgniserregend.(Paul Lendvai, 27.8.2018)